Eine Verordnung zum Ökodesign, eine weitere zu Verpackungen und Verpackungsmüll, eine Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Damit ist nur die Spitze eines Eisbergs an Nachhaltigkeitsregulierungen genannt, welchen die Europäische Union (EU) innerhalb der letzten Legislaturperiode unter dem Dach des europäischen „Green Deals“ geschaffen hat. Nun wurde im Juni 2024 die Zusammensetzung des Europaparlaments neu gewählt – mit einem deutlichen Rechtsruck in den Ergebnissen. Taut mit der Neuzusammensetzung nun gleich der Eisberge in der Arktis auch der Berg der Nachhaltigkeitsregulierungen ab?

Bei der Abstimmung über den Kommissionsvorsitz am 18. Juli 2024 wurde Ursula von der Leyen vom Parlament erneut zur Kommissionspräsidentin gewählt, womit eine Schlüsselperson an der Macht bleibt, die den Green Deal entscheidend vorangetrieben hat. Das Festhalten am Green Deal sollte also gesetzt sein. Somit lohnt es sich, diesen einmal gründlicher zu beleuchten und ein Verständnis zu gewinnen, in welchem Rahmen die letzten Gesetze entstanden und neue Regulierungen aufkommen werden.

Der europäische Green Deal

Der Green Deal wurde vom EU-Rat im Juni 2021 in Form des europäischen Klimagesetzes verabschiedet. Seitdem verfolgt die Union drei große Ziele: Erstens – bis zum Jahr 2050 sollen die Nettoemissionen von Treibhausgasen auf Null reduziert werden, wobei diese bereits bis 2030 um mindestens 55 % im Vergleich zum Jahr 1990 gesenkt werden sollen. Zweitens soll das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden. Und zuletzt gilt das Ziel, bei der Transformation keinen Menschen und Ort zurückzulassen.

Bild: Sektoren und zugehörige Aktionen des Green Deals

Die vorangestellte Grafik zeigt, wie die EU innerhalb von neun Sektoren die Nachhaltigkeit vorantreibt: Klima, Energie, Umwelt und Ozeane, Agrikultur, Transport, Industrie, Forschung und Innovation, Finanzierung und regionale Entwicklung sowie der Sektor Bauwesen umfassen den Green Deal. Innerhalb jedes Sektors sind Aktionen in Form von Aktionsplänen, Strategien und Programmen definiert, welche wiederum auch sektorenübergreifend gelten können. Innerhalb der Aktionen werden neue Gesetze geschaffen oder überarbeitet.

Für die Medizintechnikbranche lohnt es sich besonders in folgenden Sektoren einen Überblick zu gewinnen:

  • Die Sektoren Umwelt und Ozeane sowie Industrie haben einen großen Einfluss auf das Design, die Produktion und den Umgang mit Produkten und werden unter anderem durch den Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft, der Chemiestrategie zur Nachhaltigkeit, dem Aktionsplan zur Nullverschmutzung sowie den Programmen zu Müll und Recycling wie auch zu nachhaltigen Batterien geprägt.
  • Dem Sektor Klima kann das Programm zu fluorierten Treibhausgasen zugeordnet werden, in dessen Rahmen zuletzt die Überarbeitung der F-Gas Verordnung
  • Der Sektor Finanzierung und regionale Entwicklung geht unter anderem mit dem Programm zum nachhaltigen Finanzwesen einher. Innerhalb des Programms erfolgt unter anderem die Entwicklung der EU-Taxonomie sowie des Emissionshandelssystems, der Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie des Klima-Labelings.

Mit dem Klimaschutzpaket „Fit For 55 – Delivering the European Green Deal” aus dem Jahr 2023 zielt die Kommission auf das Emissionsreduktionsziel auf 55 % für 2030 ab. Innerhalb des Pakets wurden Emissionsminderungsziele für ein breites Spektrum von Sektoren bestimmt. Mit der Biodiversitätsstrategie wird das Ziel zur Förderung natürlicher Kohlenstoffsenken nachverfolgt. Weiterhin wird ein aktualisiertes Emissionshandelssystem (ETS) zur Begrenzung der Emissionen, zur Bepreisung der Umweltverschmutzung und zur Förderung von Investitionen in den grünen Wandel eingeführt.

Mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism muss für importierte Produkte der betreffenden Sektoren zukünftig gleichwertig wie in den Mitgliedstaaten gehandelte Produkte, ein Kohlenstoffpreis gezahlt werden. Zusätzlich wird das Carbon Pricing auf den Flug- und maritimen Sektor sowie auf Brennstoffe für Gebäude und Verkehr ausgeweitet. Auch im Paket enthalten ist der Green Deal Industrial Plan, womit ein schnellerer Zugang zu Finanzmitteln geschaffen, Qualifikationen verbessert und ein offener und fairer Handel für widerstandsfähige Lieferketten erleichtert werden soll. Zuletzt wird auch das Ziel eines vorhersehbaren und vereinfachten regulatorischen Umfelds verfolgt – ein Stimmungscheck der Industrie genügt, um nachzuvollziehen, inwieweit dies bisher geglückt ist.

Massive Auswirkungen auf das Produkt – der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft

Im Rahmen des Green Deals spielt der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft eine zentrale Rolle, sodass wir diesen näher beleuchten möchten. Der Plan zielt darauf ab, eine kohlenstoffneutrale, ökologisch nachhaltige und schadstofffreie Kreislaufwirtschaft bis 2050 zu erreichen. Die EU möchte nachhaltige Produkte zur Norm machen, Verbraucher und öffentliche Einkäufer stärken, sich auf ressourcenintensive Sektoren konzentrieren, Abfall reduzieren und die Kreislaufwirtschaft für alle zugänglich machen. Zudem strebt die EU eine Vorreiterrolle bei den globalen Bemühungen um eine Kreislaufwirtschaft an. Zur Umsetzung dieser Ziele wurden sieben Schlüsselsektoren für die Kreislaufwirtschaft festgelegt:

  1. Kunststoffe: Die Reduzierung der Verwendung von Mikroplastik ist ein zentrales Ziel, um die Umweltbelastung durch Plastikmüll zu minimieren.
  2. Textilien: Angesichts des hohen Ressourcenverbrauchs und der geringen Recyclingquote von unter einem Prozent sollen bis 2030 Textilerzeugnisse langlebig, recycelbar und frei von gefährlichen Stoffen sein sowie mit einem höheren Anteil an recycelten Fasern.
  3. Elektronik: Um dem schnell wachsenden Abfallstrom von Elektronikprodukten entgegenzutreten, wird in der EU die Wiederverwendbarkeit und Reparierbarkeit von Elektronikprodukten gefördert.
  4. Lebensmittel, Wasser und Nährstoffe: Die Lebensmittelverschwendung soll bis 2030 halbiert werden, um die Ressourceneffizienz zu steigern.
  5. Verpackungen: Angesichts der durchschnittlich 189 kg Verpackungsabfälle pro Person im Jahr 2021 werden die Vorschriften für Verpackungen und Verpackungsabfälle überarbeitet.
  6. Batterien und Fahrzeuge: Neue Regulierungen sollen sicherstellen, dass Batterien mit möglichst geringen Umweltauswirkungen und unter Einhaltung hoher sozialer und ökologischer Standards hergestellt werden.
  7. Bauwirtschaft und Gebäude: Da über 35 Prozent des gesamten Abfallaufkommens in der EU auf das Baugewerbe entfallen, werden Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden, Reduktionsziele für den CO₂-Fußabdruck von Materialien und Mindestanforderungen an die Ressourcen- und Energieeffizienz eingeführt.

Von November 2022 bis März 2023 wurden drei Maßnahmenpakete innerhalb des Aktionsplans verabschiedet, welche diverse Gesetzgebungsverfahren einleiteten. Darunter fiel die Überarbeitung der Vorschriften über persistente organische Schadstoffe (POPs), um gefährliche Chemikalien in Abfällen und Produktionsprozessen zu verringern. Auch die Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) wurde erarbeitet und ersetzt seit Juli 2024 bisherige Ökodesign-Vorschriften. Weiterhin wurde ein Überwachungsrahmen für die Kreislaufwirtschaft überarbeitet, um den Materialfußabdruck und die Ressourcenproduktivität zu überwachen und sicherzustellen, dass der EU-Verbrauch innerhalb der planetarischen Grenzen liegt.

Verbrauchervorschriften zum Verbot von Grünfärberei (sog. Greenwashing im Marketing) wurden aktualisiert und ein EU-weites Zertifizierungssystem für CO2-Entnahmen wurde eingeführt. Fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen, ist beispielsweise das Gesetzgebungsverfahren zur Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR).

Eine Strategie für nachhaltige Chemikalien

Auch wenn Chemikalien bereits teilweise im vorangegangenen Aktionsplan reguliert werden, legt die EU mit der Chemikalienstrategie einen deutlich umfassenderen Fokus auf den Einsatz gefährlicher Chemikalien, um diese in ihrem Einsatz zu reduzieren und sicherzustellen, dass sie während ihres gesamten Lebenszyklus sicher und nachhaltig sind. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Berücksichtigung der Mischwirkung von Chemikalien. Bei der Bewertung der von Chemikalien ausgehenden Risiken werden nicht nur einzelne Substanzen, sondern auch ihre kombinierten Effekte auf Gesundheit und Umwelt untersucht.

Die EU verbietet jedoch nicht nur den Einsatz gefährlicher Chemikalien, sondern fördert auch die Entwicklung sicherer und nachhaltiger Chemikalien durch spezielle Förderprogramme, um die Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit der Versorgung mit kritischen Chemikalien zu stärken. Dies soll Abhängigkeiten verringern und eine stabile Versorgung sicherstellen. Ein einfacheres Verfahren zur Risiko- und Gefahrenbewertung von Chemikalien wird durch den Grundsatz „ein Stoff – eine Bewertung“ eingeführt, um die Prozesse effizienter und transparenter zu gestalten.

Auf globaler Ebene strebt die EU eine führende Rolle an, indem sie hohe Standards im Chemikalienmanagement setzt und fördert. Ein zentraler Bestandteil dieser Bemühungen ist das Verbot des Exports von in der EU verbotenen Chemikalien, um internationale Umwelt- und Gesundheitsstandards zu stärken.

Zur Umsetzung der Ziele arbeitet die Kommission and der Revision diverser Gesetzgebungen und hat diese zum Teil bereits abgeschlossen:

  • Überarbeitung der Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien (REACH)
  • Überarbeitung der Gesetzgebung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien (CLP)
  • Überarbeitung der EU-Vorschriften für Materialien mit Lebensmittelkontakt (FCM)
  • Überarbeitung der Richtlinie über Industrieemissionen (IED)
  • PFAS-Beschränkungsverfahren (noch nicht final beschlossen)

Mit diesem Artikel möchten wir Ihnen einen Überblick zum Aufbau des europäischen Green Deals geben, sodass Sie ein Verständnis gewinnen, aus welchen Beweggründen die Vielzahl an neuen Gesetzgebungen um uns herum aufkommen. Bei diesem Überblick möchten wir es jedoch nicht belassen. In den kommenden Wochen werden wir Ihnen einen tieferen Einblick in einzelne der oben genannten Gesetzgebungen ermöglichen und darauf eingehen, wie durch diese neue Anforderungen an die Medizintechnik gestellt werden.

Sie haben jetzt bereits Fragen zur Nachhaltigkeitsgesetzgebung der EU? Kommen Sie gerne auf uns zu – unser interdisziplinäres Nachhaltigkeitsteam kann Sie kompetent beraten.

Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.