Leistungsbewertung nach IVDR: Wissenschaftliche Validität
Mit der Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) wurden die Anforderungen an die Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika (IVD) erheblich verschärft. Hersteller sind verpflichtet, die wissenschaftliche Validität, die Analyseleistung und die klinische Leistung ihrer Produkte umfassend nachzuweisen. Dieser Artikel bietet eine strukturierte Übersicht über die Anforderungen zur wissenschaftlichen Validität gemäß IVDR.
Überblick und Definition der wissenschaftlichen Validität
Die wissenschaftliche Validität eines Analyten beschreibt dessen Eignung zur Detektion eines klinischen oder physiologischen Zustands – es wird also belegt, dass die Methodik, mit der das Produkt ausgelobt ist, tatsächlich auf einer wissenschaftlichen Basis beruht und entsprechend funktionieren kann Der Hersteller muss gemäß IVDR Anhang XIII Teil A 1.2.1 die wissenschaftliche Validität mittels einer oder mehrerer der folgenden Methoden nachweisen:
- Wissenschaftliche Literatur
- Expertengutachten/-stellungnahmen einschlägiger Fachorganisationen
- Ergebnisse aus Studien zum Nachweis des Wirkprinzips
- Ergebnisse aus klinischen Leistungsstudien
- Einschlägige Angaben über die wissenschaftliche Validität von Produkten, mit denen der gleiche Analyt gemessen wird
Die wissenschaftliche Validität wird im Scientific Validity Report (SVR) nachgewiesen und dokumentiert.
Sie stellt jedoch nur einen Teil der Leistungsbewertung dar und muss in Kombination mit der analytischen und klinischen Leistung betrachtet werden. Auch nach der Markteinführung sollte die wissenschaftliche Validität kontinuierlich überprüft werden, insbesondere wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse verfügbar werden.
Methodisches Vorgehen – Überblick
Gemäß IVDR, Anhang XIII Teil A 1.2 muss der Hersteller die wissenschaftliche Validität seines Produkts systematisch bewerten. Dazu gehören folgende Schritte:
- Systematische Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zur Identifikation aller relevanten Daten, die die Zweckbestimmung des Produkts betreffen.
- Bewertung und Analyse der identifizierten Daten hinsichtlich ihrer Eignung zur Beurteilung der Sicherheit und Leistung des Produkts.
- Ermittlung und Erarbeitung zusätzlicher Daten, falls relevante Fragen nicht ausreichend beantwortet werden können.
Zur strukturierten Dokumentation der Literaturrecherche sind zwei zentrale Dokumente erforderlich:
- Ein Literature Search Protocol (LSP):
Es enthält die methodische Planung und Dokumentation der durchgeführten Recherche, inklusive Suchstrategie, verwendeter Datenbanken, Ein- und Ausschlusskriterien sowie der Suchergebnisse.
- Ein Literature Search Report (LSR):
Er baut auf dem LSP auf und bewertet die eingeschlossenen Publikationen hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Relevanz und Validität.
Methodisches Vorgehen im Detail
Hersteller sollten bei Literaturrecherchen oder anderen Datenbeschaffungsmethoden systematisch vorgehen:
- Festlegung der Zweckbestimmung und weiterer zentraler Produkteigenschaften
- Festlegung einer klaren Suchstrategie in Bezug auf den Analyten
- Durchführung mehrerer, fokussierter Suchanfragen mit konsolidierten Suchkriterien
- Dokumentation der Methodik, um Nachvollziehbarkeit, Reproduzierbarkeit und Überprüfbarkeit sicherzustellen
Wenn der Zusammenhang zwischen dem Analyten und einem klinischen Zustand oder physiologischen Zustand gut etabliert ist, kann vorhandene Evidenz von ausreichender Qualität und Quantität sein, um die wissenschaftliche Validität zu stützen.
Beispiele vorhandener Evidenz:
- Bewertete Literaturdaten
- Peer-Review-Daten
- Verfügbare klinische Daten (z. Summary of Safety and Performance – SSP, Register, Behörden-Datenbanken)
- Informationen zur wissenschaftlichen Validität ähnlicher Produkte
- Proof-of-Concept-Studien
- Konsensbasierte Expertenmeinungen und Positionspapiere
Existiert jedoch keine ausreichende Evidenz, ist sie lückenhaft oder handelt es sich beispielsweise um neuartige Analyten, ist eine wissenschaftliche Begründung erforderlich. In diesem Fall muss zusätzliche Evidenz generiert werden. Eine Gap-Analyse sollte vom Hersteller durchgeführt werden, um den zusätzlichen Datenbedarf zu ermitteln.
Beispiele zur Generierung neuer Evidenz:
- Durchführung klinischer Leistungsstudien
- Durchführung anderer Studien, z. analytische Leistungsstudien oder PMPF-Studien (Post-Market Performance Follow-up)
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass klinische Leistungsstudien primär dem Nachweis der klinischen Leistung und weniger der wissenschaftlichen Validität dienen. Die Notwendigkeit solcher Studien kann sich vor allem auch aus der Bewertung der klinischen Leistungsdaten im Rahmen der Erstellung des Clinical Performance Reports (CPR) ergeben. Dieses Thema sowie die Anforderungen an Leistungsstudien werden in separaten Blogartikeln ausführlich behandelt.
Relevanz des MDCG 2022-2 Guidance Dokuments
Das MDCG 2022-2 Guidance-Dokument „Guidance on general principles of
clinical evidence for In Vitro Diagnostic medical devices (IVDs)“ bietet Empfehlungen zur Umsetzung der wissenschaftlichen Validitätsbewertung sowie eine grafische Übersicht mit verschiedenen Schritten, die der Hersteller unternehmen kann, um die Anforderungen an die wissenschaftliche Validität zu erfüllen. Das Guidance-Dokument dient auch generell als Orientierungshilfe für Hersteller, um regulatorische Anforderungen zur Leistungsbewertung effizient zu erfüllen.
Die MDCG 2022-2 definiert klarere Anforderungen an die systematische Literaturrecherche. Sie enthält detaillierte Vorgaben dazu, wie eine Literaturrecherche methodisch korrekt durchzuführen ist, um den regulatorischen Anforderungen zu entsprechen. Ein zentrales Element ist dabei die präzise Zweckbestimmung des Produkts, da diese maßgeblich für die korrekte Bewertung der wissenschaftlichen Validität ist. Zusätzlich macht die Guidance spezifische Vorgaben für verschiedene Produktklassen – insbesondere für risikoreichere In-vitro-Diagnostika (IVDs) gelten strengere Anforderungen, um ein höheres Maß an Sicherheit und Evidenz sicherzustellen.
Abgrenzung zu analytischer und klinischer Leistung
Die wissenschaftliche Validität ist ein essenzieller Bestandteil der Leistungsbewertung, stellt jedoch nur die erste von drei zentralen Säulen dar. Um die Sicherheit und Leistung eines IVDs umfassend zu belegen, müssen zusätzlich auch die analytische und die klinische Leistung berücksichtigt und dokumentiert werden.
- Wissenschaftliche Validität bezieht sich auf den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen dem Analyten und einem klinischen oder physiologischen Zustand.
- Analytische Leistung umfasst die technische Fähigkeit des IVDs, den Analyten korrekt zu messen – zum Beispiel hinsichtlich Sensitivität, Spezifität, Linearität oder Nachweisgrenze.
- Klinische Leistung wiederum bewertet, ob die Messergebnisse in der realen klinischen Anwendung tatsächlich eine verlässliche Aussage über den klinischen Zustand des Patienten erlauben – also z. B., ob ein Test zuverlässig zwischen gesunden und kranken Patienten unterscheiden kann.
Alle drei Komponenten – wissenschaftliche Validität, analytische Leistung und klinische Leistung – greifen ineinander und bilden gemeinsam die Basis für eine belastbare und regulatorisch konforme Leistungsbewertung.
Besondere Herausforderung: Klasse A IVDs ohne Analyten
Eine besondere Herausforderung bei der Bewertung der wissenschaftlichen Validität ergibt sich bei Produkten der Klasse A, die keinen spezifischen Analyten besitzen – etwa Zentrifugen, Probenbehälter, Pufferlösungen oder Inkubatoren. Da für diese Produkte in der Regel keine direkte Assoziation zwischen einem Analyten und einem klinischen oder physiologischen Zustand hergestellt werden kann, lässt sich die wissenschaftliche Validität nicht in klassischer Weise über den Nachweis eines Analyten-Wirkprinzips führen.
Stattdessen könnte die wissenschaftliche Validität bei diesen Produkten auf das grundlegende Funktionsprinzip des Produkts ausgerichtet sein – beispielsweise auf das Prinzip der Zentrifugation, der thermischen Inkubation oder chemisch definierter Pufferreaktionen im Rahmen einer In-vitro-Diagnostischen Probennahme und -Auswertung. Auch wenn keine spezifischen Analyten vorliegen, ist es essenziell, die Relevanz und Angemessenheit des Produkts für die vorgesehene diagnostische Anwendung wissenschaftlich darzustellen.
Die Dokumentation der wissenschaftlichen Validität kann in solchen Fällen als Kapitel innerhalb des State of the Art Reports (SOTA) entweder als eigenständiges Dokument oder als Teil des Performance Evaluation Plans (PEP)/Performance Evaluation Reports (PER) erfolgen. Eine klare Strukturierung und Argumentation sind dabei entscheidend.
Aktuell existieren noch keine spezifischen MDCG-Guidelines oder normativen Vorgaben, die diesen Spezialfall regeln. Daher liegt es in der Verantwortung des Herstellers, auf Basis des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik eine nachvollziehbare und regulatorisch tragfähige Begründung zu liefern.
Fazit
Die wissenschaftliche Validität ist ein zentraler Bestandteil der Leistungsbewertung von IVDs nach Verordnung (EU) 2017/746. Hersteller müssen durch eine systematische Literaturrecherche, den Vergleich mit bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und gegebenenfalls zusätzliche Studien den wissenschaftlichen Nachweis erbringen. Ein strukturierter Ansatz bei der Planung und Berichterstellung erleichtert die Erfassung und Dokumentation der relevanten Informationen. Dabei sind regulatorische Vorgaben, wie die IVDR und das MDCG 2022-2 Dokument essenziell für die korrekte Umsetzung. seleon kann Sie bei der Planung und Erstellung einer IVDR-konformen Leistungsbewertung unterstützen!
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.