Mit der Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) wurden die Anforderungen an die Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika (IVD) erheblich verschärft. Hersteller sind verpflichtet, die wissenschaftliche Validität, die Analyseleistung und die klinische Leistung ihrer Produkte umfassend nachzuweisen. Dieser Artikel bietet eine strukturierte Übersicht über die Anforderungen und Nachweismethoden gemäß IVDR.
Definitionen und Grundlagen
Laut IVDR Artikel 2 (2) bezeichnet ein In-vitro-Diagnostikum (IVD) „ein Medizinprodukt, das als Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibrator, Kontrollmaterial, Kit, Instrument, Apparat, Gerät, Software oder System — einzeln oder in Verbindung miteinander — vom Hersteller zur In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben, einschließlich Blut und Gewebespenden, bestimmt ist und ausschließlich oder hauptsächlich dazu dient, Informationen zu einem oder mehreren der folgenden Punkte zu liefern
- über physiologische oder pathologische Prozesse oder Zustände,
- über kongenitale körperliche oder geistige Beeinträchtigungen,
- über die Prädisposition für einen bestimmten gesundheitlichen Zustand oder eine bestimmte Krankheit,
- zur Feststellung der Unbedenklichkeit und Verträglichkeit bei den potenziellen Empfängern,
- über die voraussichtliche Wirkung einer Behandlung oder die voraussichtlichen Reaktionen darauf oder
- zur Festlegung oder Überwachung therapeutischer Maßnahmen.
Probenbehältnisse gelten als auch In-vitro-Diagnostika;“
Seit dem 26. Mai 2022 unterliegen In-vitro-Diagnostika (IVD) einer neuen Klassifizierung, die sie in vier Kategorien von A bis D einteilt. Ausschlaggebend für diese Einstufung sind der vorgesehene Verwendungszweck des Produkts sowie die damit verbundenen Risiken. Die Zuordnung erfolgt anhand von sieben spezifischen Klassifizierungsregeln (IVDR Art. 47 und Anhang VIII). Dabei wird das Risiko sowohl für den Einzelnen als auch für die Allgemeinheit berücksichtigt. Je größer die potenzielle Gefahr, desto höher die Einstufung in der Risikoskala.
Risikoklasse | Risikolevel | Beispiele |
A | Niedriges individuelles Risiko, niedriges öffentliches Risiko | Allgemeine mikrobiologische Nährböden, Pufferlösungen, allgemeine Färbereagenzien (z.B. Hämatoxylin, Eosin) |
B | Moderates individuelles Risiko, niedriges öffentliches Risiko | Selbsttest in der Schwangerschaft, Urin-Teststreifen zur Bestimmung von Harnwegsinfektionen, Assay für den Nachweis von Autoantikörpern |
C | Hohes individuelles Risiko, moderates öffentliches Risiko | Blutzuckerselbsttest, HLA-Typisierung, Schnelltest für den Nachweis von Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus |
D | Hohes individuelles Risiko, hohes öffentliches Risiko | Hepatitis B (HBs-Ag), Hepatitis C (Anti-HCV), Humanes Immundefizienz-Virus 1/2 (Anti-HIV 1/2) |
*HLA: Humane Leukozyten-Antigene; PSA: Prostata-spezifische Antigene
Die Leistungsbewertung ist unabhängig von der Risikoklasse für alle Hersteller verpflichtend. Sie wird in IVDR Artikel 2 (44) definiert als die „Beurteilung und Analyse von Daten zur Feststellung oder Überprüfung der wissenschaftlichen Validität, der Analyseleistung und gegebenenfalls der klinischen Leistung eines Produkts” .
Ablauf der Leistungsbewertung
Der Prozess der Leistungsbewertung beginnt gemäß IVDR Anhang XIII Teil A mit der Erstellung des Leistungsbewertungsplans (Performance Evaluation Plan, PEP), der die Ziele, Methoden und Datenquellen für die Bewertung definiert.
Anschließend werden drei zentrale Aspekte geprüft:
- die wissenschaftliche Validität, die den Zusammenhang zwischen Analyten und klinischem Zustand belegt
- die Analyseleistung, die z.B. Präzision, Spezifität und Reproduzierbarkeit der Messung sicherstellt, und
- die klinische Leistung, die den praktischen Nutzen des Tests für medizinische Entscheidungen bestätigt.
Alle Ergebnisse werden im Leistungsbewertungsbericht (Performance Evaluation Report, PER) zusammengefasst, der regelmäßig überprüft und aktualisiert werden muss, um die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Produkts zu gewährleisten.
Wissenschaftliche Validität
Die wissenschaftliche Validität eines Analyten beschreibt dessen Eignung zur Detektion eines klinischen oder physiologischen Zustands. Der Hersteller muss gemäß IVDR Anhang XIII Teil A 1.2.1 die wissenschaftliche Validität mittels einer oder mehrerer der folgenden Methoden nachweisen:
- Wissenschaftliche Literatur
- Expertengutachten/-stellungnahmen einschlägiger Fachorganisationen
- Ergebnisse von Proof-of-Concept-Studien
- Ergebnisse aus klinischen Leistungsstudien
Hierfür sind systematische wissenschaftliche Literaturrecherchen erforderlich, um relevante Daten zu identifizieren und offene Fragen zu klären. Die wissenschaftliche Validität wird im Scientific Validity Report (SVR) dokumentiert.
Analyseleistung
Die Analyseleistung beschreibt die Fähigkeit eines IVDs, einen bestimmten Analyten korrekt nachzuweisen. Gemäß IVDR Anhang XIII Teil A 1.2.2 muss der Hersteller die Analyseleistung belegen. Wesentliche Parameter hierbei sind:
- Analytische Sensitivität (Bestimmung der Nachweisgrenzen)
- Analytische Spezifität (Vermeidung von Störeinflüssen)
- Trueness (Richtigkeit), Precision (Präzision), Accuracy (Genauigkeit)
- Messbereich und Linearität
- Cut-off-Werte und Kriterien für Probenhandling
Der Analytical Performance Report (APR) dokumentiert die Untersuchungen zur Analyseleistung.
Klinische Leistung
Die klinische Leistung beschreibt die Fähigkeit eines IVDs, Ergebnisse zu liefern, die mit einem klinischen Zustand korrelieren. Laut IVDR Anhang XIII Teil A 1.2.3 basiert der Nachweis der klinischen Leistung auf:
- Klinischen Leistungsstudien
- Wissenschaftliche Literatur (Peer-Review)
- Veröffentlichten Erfahrungen aus der diagnostischen Routine
Klinische Leistungsstudien sind durchzuführen, es sei denn, es kann eine gleichwertige Datenbasis aus anderen Quellen nachgewiesen werden. Der Clinical Performance Report (CPR) fasst die Ergebnisse zur klinischen Leistung zusammen.
Alle Nachweise zur wissenschaftlichen Validität, Analyseleistung und klinischen Leistung fließen in den Leistungsbewertungsbericht (Performance Evaluation Report, PER) ein, der zusätzliche Aspekte, wie Usability, Lebensdauer, Risiko-Nutzen-Bewertung und Herstellerangaben umfasst.
Alle einschlägigen Daten müssen vom Hersteller bewertet und auf Übereinstimmung mit den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß IVDR Anhang I geprüft werden.
Die IVDR stellt hohe Anforderungen an Hersteller, um die Sicherheit und Leistung von IVDs zu gewährleisten. Ein systematischer, evidenzbasierter Ansatz ist erforderlich, um regulatorische Anforderungen zu erfüllen und den Marktzugang zu sichern.
Wie steht es um die wissenschaftliche Validität und Analyseleistung von Klasse-A-IVDs, wenn kein spezifischer Analyt vorliegt – etwa bei Zentrifugen, Probenbehältern oder Inkubatoren? Antworten auf diese und weitere Fragen erhalten Sie in den kommenden Beiträgen unserer IVD-Blogserie.
Eine detaillierte Auslegung der gesetzlichen Vorgaben und Informationen zur Ausgestaltung der Leistungsbewertung finden sich in der MDCG 2022-2 (Guidance on general principles of clinical evidence for In Vitro Diagnostic medical devices (IVDs)). seleon kann Sie bei der Planung und Erstellung einer IVDR-konformen Leistungsbewertung unterstützen!
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.