Alles steril oder was?

Sterilprodukte stellen einen nicht unerheblichen Teil des Medizinproduktemarktes dar. Viele Verbrauchsmaterialien werden in sterilem Zustand geliefert. Oft auch als Zubehör für wiederverwendbare Medizinprodukte. Diese können zugekauft und mit dem eigenen Medizinprodukt als System vermarktet oder unter eigenem Label zugelassen werden. So kann aus einem aktiven Medizinproduktehersteller schnell ein Hersteller mit sterilen Medizinprodukten werden. Was benötigt man, um ein steriles Produkt zu fertigen, sterilisieren und zuzulassen? Und was ist bei der Kontrolle der ausgelagerten Prozesse zu beachten? Wer schon länger im Bereich Sterilprodukte unterwegs ist, wird die wichtigsten Grundlagen und Prinzipien bereits kennen. Wenn Sie aber noch am Anfang Ihrer „Sterilkarriere“ stehen oder nur einen veralteten Kenntnisstand haben inkl. veralteter Akten, die Sie zur Verzweiflung treiben, dann möchten wir Sie mitnehmen auf eine Reise durch die komplexe Welt der Sterilisation.

Wir werden dabei die Herangehensweise der Validierung für verschiedene Sterilisationsverfahren betrachten, uns aber auch mit dem Themenbereich „Bioburden“ beschäftigen. Ebenso sollen das oft unterschätzte Thema „Sterilbarrieresysteme“ und die damit verbundene Verpackungsvalidierung die notwendige Aufmerksamkeit erhalten. Denn jedes dieser Teilgebiete hat seine ganz besondere Herausforderung, doch sie alle kommen ohne einander nicht aus.

Zunächst werfen wir einen Blick auf die Begrifflichkeiten und befassen uns als Erstes mit der Sterilisation mittels Ethylenoxid (EtO).


Was bedeutet steril?

Sterilität bezeichnet den Zustand eines Medizinprodukts, das frei von lebensfähigen Mikroorganismen ist. Wobei sich in der Praxis dieser Zustand nicht uneingeschränkt beweisen lässt. Daher wird mit dem Sterilitätssicherheitsniveau (englisch „Sterility Assurance Level“, kurz: SAL) gearbeitet. Es gibt die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins eines einzigen lebensfähigen Mikroorganismus auf einem Produkt nach der Sterilisation an. Im Allgemeinen wird versucht, ein SAL von 10-6 zu erreichen, wobei das zu erreichende Niveau immer vom Endprodukt und von seiner Zweckbestimmung abhängig sein sollte.

Der Begriff „Sterilisation“ ist dabei definiert als ein validiertes Verfahren zur Befreiung eines Produkts von lebensfähigen Mikroorganismen.

Dieses Sterilisationsverfahren wird mithilfe eines Prozessprüfsystems (englisch: process challenging device, kurz: PCD) validiert. Es stellt ein System dar, das konstruiert wurde, um eine definierte Schwierigkeit gegenüber einem Sterilisationsprozess darzustellen. Je nach Methode kann es hierfür verschiedene Ansätze im Rahmen der Validierung geben. Es kann sich dabei um ein echtes Produkt oder ein simuliertes Produkt handeln. Für die Sterilisation mittels EtO und die zugehörige Validierung sollte es beispielsweise eine schlechtere Gaszugänglichkeit besitzen als das tatsächlich zu sterilisierende Produkt, um als Worst Case herangezogen zu werden und die Ergebnisse somit auf das zu sterilisierende Produkt übertragen zu können.

Das Sterilbarrieresystem stellt die Primärverpackung von sterilen Medizinprodukten dar, die die Sterilität nach dem Sterilisationsprozess aufrechterhalten muss. Sie verhindert das Eintreten von Mikroorganismen und ermöglicht die aseptische Bereitstellung des Produkts am Anwendungsort. Das wohl bekannteste Material für Sterilbarrieresysteme stellt TYVEK® dar, das mit anderen Materialien zu einer Primärverpackung kombiniert wird.


Sterilisationsmethoden

Die drei am weitesten verbreiteten Sterilisationsmethoden in der Medizintechnik stellen die Sterilisation durch Ethylenoxid, durch Strahlung und durch feuchte Hitze dar. Wir möchten uns diesen Sterilisationsmethoden in unserer Beitragsreihe widmen. Darüber hinaus gibt es noch die weniger verbreiteten Möglichkeiten der Sterilisation mit trockener Hitze und mit Niedertemperatur-Dampf-Formaldehyd (NTDF) und Wasserperoxid Plasma-Sterilisierung.


Was gibt es im Detail über die Sterilisation mittels Ethylenoxid zu wissen?

Ethylenoxid ist ein mutagenes, giftiges und hochentzündliches Gas, das bei Begasung Mikroorganismen abtötet, indem es Zellbestandteile unwirksam macht. Wasser dient bei diesen Reaktionen als Katalysator, was die relative Feuchtigkeit bei der Reaktion zu einem wichtigen Parameter macht. Die Verwendung von EtO für die Sterilisation von Medizinprodukten ist weitverbreitet, insbesondere für Produkte, die hitze- und strahlungsempfindlich sind. Der Sterilisationsprozess mit EtO ist relativ komplex und unterliegt einer starken Kontrolle durch Prozessparameter. Zu den wichtigsten, aber weitaus nicht alle, gehören:

  •     Gaskonzentration
  •     Temperatur
  •     Überdruck
  •     Einwirkzeit

In EtO-Anlagen werden die Produkte meist auf Paletten (Menge je nach Größe der Sterilisationskammer) zunächst auf die für den Prozess notwendige Temperatur und Feuchtigkeit vorkonditioniert und dann mit EtO begast, wobei die tatsächliche Einwirkzeit erst ab dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Raum vollständig mit EtO gefüllt ist. Diese Phase dauert in der Regel mehrere Stunden und stellt die tatsächliche Sterilisation der Produkte dar, die in dieser Phase vom Ethylenoxid durchdrungen werden.

Danach beginnt die Desorption, sprich, das Gas wird aus der Kammer wieder abgesogen. Meist werden die Produkte dann im Anschluss in eine separate Kammer verlagert, in der sich die Ausgasungsphase anschließt. Während dieser tritt Restgas aus den Produkten aus, was aufgrund der kritischen Eigenschaften von EtO einen gewollten und notwendigen Prozessschritt darstellt. Die Festlegung dieser Ausgasungsphase kann unter Umständen ein komplexes Unterfangen sein, immer in Abhängigkeit von der Auslegung und dem bestimmungsgemäßen Gebrauch des Produkts. Die regulatorischen Vorgaben hierfür finden sich in der EN ISO 10993-7 sowie in der jeweiligen nationalen Gesetzgebung und in Leitfäden, die teilweise strengere Auflagen enthalten als die Norm.

Die oben genannten Prozessparameter werden über diverse Sensoren während des gesamten Prozesses überwacht und stellen die Grundlage zur Freigabe der Sterilisationscharge dar. Anforderungen dazu bzw. zu ihrer Ermittlung sind in der EN ISO 11135 enthalten.

Die Auswahl der Zyklusparameter und die Dauer der Begasungs-, Einwirk- und Ausgasungszeit sind stark abhängig von der Gaszugänglichkeit des Sterilbarrieresystems und der Geometrie des Medizinprodukts. Mehrschichtige Verpackungen oder gefaltete Lagen, schmale Röhren, Hohlräume am oder im Medizinprodukt, genauso wie die Beladungsstruktur haben einen starken Einfluss auf die Gaszugänglichkeit, die entsprechend berücksichtigt werden müssen.

EtO stellt also eine hochkomplexe Sterilisationsmethode dar. Nachteilig sind die relativ hohen Zykluslängen, die Kosten und die Verwendung eines giftigen Reagenzes. Trotzdem wird diese Methode vielfach eingesetzt, da andere Methoden die Materialien deutlich mehr belasten und damit die Sicherheit und Leistung von Medizinprodukten nicht mehr gegeben ist.


EN ISO 11135:2019 – Anforderungen für die Sterilisation mit Ethylenoxid

Die EN ISO 11135 stellt Anforderungen an die Entwicklung, Validierung und Lenkung der Anwendung des Ethylenoxid-Sterilisationsverfahrens für Medizinprodukte auf. Viele Anforderungen werden in der Regel durch die Betreiber der EtO-Anlage erfüllt, z. B. bauliche Regelungen, Sensorik im Begasungsraum oder die Installation Qualification („IQ“) und die Operational Qualification („OQ“) der Anlage. Trotzdem bleiben noch einige produktspezifische Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Sterilisation für den Hersteller übrig. Je nachdem, ob es bereits eine bestehende Process Qualification des Betreibers gibt oder nicht, können die folgenden Punkte notwendig werden:

  •     Bewertung der Gaszugänglichkeit der Medizinprodukts und dessen Sterilbarrieresystems
  •     Auswahl eines geeigneten Zyklusverfahrens
  •     Ermittlung des zulässigen Bioburden vor Sterilisation
  •     Nachweis der Produktkompatibilität (Bewertung der Sicherheit und Leistung des Produkts durch die Sterilisationsmethode)
  •     Nachweis zur Eignung des PCD (Process Challenging Device)
  •     Unterordnung des eigenen Produkts zu einem bereits etablierten PCD
  •     Nachweis zur Eignung des Bioindikators (Verfahrensdefinition)
  •     Nachweis der Erlangung des Sterility Assurance Levels
  •     Ermittlung möglicher Gasrückstände und Definition der Ausgasungsphase
  •     Vertragliche Vereinbarung mit dem Lohnsterilisierer gemäß den Anforderungen nach EN ISO 11135

Was also sollte alles in einem Validierungsbericht stehen, fragen Sie sich? Hier hilft neben der EN ISO 11135 das schon etwas in die Jahre gekommene ZLG Papier 3.9 B 26, das die Mindestinhalte von Validierungsberichten für EtO auflistet. Darunter fallen auch Angaben zur Charakterisierung der Ausrüstung, der IQ und der OQ, also Tätigkeiten des Lohnsterilisierers, auf den die meisten Hersteller keinen Einfluss haben. Unter dem MPG wurden hier oft die entsprechenden Dokumente referenziert und eine Einsicht vor Ort vom Lohnsterilisierer ermöglicht. Wie sich die Handhabung unter der MDR mit diesen umfangreichen Berichten etablieren wird, bleibt noch abzuwarten, da es sich allgemein um eine Dokumentation gemäß Punkt 3b aus Anhang II handelt, die „vollständig in die technische Dokumentation aufzunehmen“ sind.

Oft verlassen sich unerfahrene Hersteller in diesen Bereichen auf ihren Lohnsterilisierer oder einen Lieferanten, der die Sterilisation im Auftrag des Herstellers durchführen lässt. Dies kann zu unklarer Dokumentation und zu Verantwortungsproblemen führen. Jedoch ist der Hersteller des Medizinprodukts im Sinne eines New-Approach-Konformitätsbewertungsverfahrens, wie es die MDR darstellt und auch bereits unter der MDD galt, mit Blick auf die Produktkonformität für die Validierung aller Prozessschritte verantwortlich. Lagert er entsprechende Tätigkeiten aus, so sind eine Kontrolle dieser Tätigkeiten sowie der Abschluss von Qualitätsvereinbarungen und das Review von Prozessen und Validierungsunterlagen ein Muss für einen konformen Hersteller. Viele Schritte der Sterilisation betreffen auch das eigentliche Produktdesign und sind daher als Nachweise in Kapitel 6.2, Anhang II der MDR zu führen. Eine konstruktive Zusammenarbeit des Prozesseigners (meist der Lohnsterilisierer) und des Produkteigners (der Hersteller) sind daher unerlässlich und bei unzureichendem Prozess- und Produktwissen nicht einfach durchzuführen. Es ist daher auch für Hersteller von zentraler Wichtigkeit, im eigenen Unternehmen Know-how aufzubauen und sich im Zweifel durch einen externen Experten unterstützen zu lassen. Gerade mit Blick auf die gestiegenen Anforderungen und die Harmonisierung der EN ISO 11135:2014/A1:2019 unter der MDR wie der IVDR sollten Hersteller, soweit es noch nicht passiert ist, mit ihren Lohnsterilisierern in Kontakt treten und die Dokumentation auf die Erfüllung dieser Normenversion hin prüfen.

Sie haben bereits das Thema EN ISO 11135 ins Auge gefasst? Versperrt Ihnen der Nebel der Anforderungen aber noch die Sicht? Oder möchten Sie erstmals unter der MDR ein steriles Produkt in Verkehr bringen? Sprechen Sie uns an, wir leisten Ihnen gerne Hilfestellung, auch in der Kommunikation mit Ihrem Lieferanten.

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