Der wohl wichtigste Schritt bei der Entwicklung eines Medizinprodukts, von der Idee bis hin zur Zulassung, ist die Definition der Zweckbestimmung. Diese ist maßgebend für die Festlegung der Risikoklasse und die Auswahl der entsprechenden grundlegenden Anforderungen, je sogar der gesetzlichen Grundlage, die zu erfüllen sind. Nicht zuletzt ist die Zweckbestimmung die wichtigste Auslobung zum Produkt und hat Einfluss auf alle nachgelagerten Produktaussagen, mit denen Sie das Interesse der Kunden gewinnen dürfen – kurzum sie ist das Kernstück des Produktes.

Doch trotz der zentralen Stellung dieses Begriffs, ist es dem Gesetzgeber leider nicht gelungen, den Begriff in allen Sprachen der Medical Device Regulation (MDR (EU) 2017/745) eindeutig zu belegen. Oder wie werden in Ihrem Unternehmen die Begriffe „Intended purpose“  und „intended use“ belegt? Gibt es einen Unterschied? Oder meint doch beides das Gleiche? Und unterscheiden Sie dann auch im Deutschen? Verwenden Sie manchmal die „bestimmungsgemäße Verwendung“? Nun, wir versuchen uns dem Problem auf systematische Weise zu nähern:

Die erste und wichtigste zu betrachtende Quelle ist die MDR. Selbstverständlich gibt es weitere Quellen wie Normen (ISO 14971, 24971) oder Guidance Dokumente(z.B. die MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 oder MDCG Leitfäden). Jedoch ist die MDR als Verordnung die einzig gesetzlich bindende Grundlage, weshalb es sich lohnt, hier genauer hinzusehen.

Begriffsdefinitionen MDR

Der erste Blick geht hier zu Artikel 2, in dem die Begriffsbestimmungen gelistet sind.

                                                                      Art. 2, 12:

In der deutschen Version findet sich:

„Zweckbestimmung“ bezeichnet die Verwendung, für die ein Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers auf der Kennzeichnung, in der Gebrauchsanweisung oder dem Werbe- oder Verkaufsmaterial bzw. den Werbe- oder Verkaufsangaben und seinen Angaben bei der klinischen Bewertung bestimmt ist; ((EU) 2017/745)

In der englischen Version ist dieser Wortlaut zu finden:

‘intended purpose’ means the use for which a device is intended according to the data supplied by the manufacturer on the label, in the instructions for use or in promotional or sales materials or statements and as specified by the manufacturer in the clinical evaluation; ((EU) 2017/745)

Danach wäre es einfach:

                                                  Zweckbestimmung = intended purpose

Durchsucht man die deutsche MDR nach dem Schlagwort Zweckbestimmung und überprüft an diesen Stellen die englische Ausgabe, so erhält man 84 (!) Mal exakt dieses Wortpaar.

Doch leider gibt es 2 Stellen, an der die Zweckbestimmung nicht mit intendend purpose übersetzt wird, sondern mit intended use:

                                                      Annex I, 10.3:

Die deutsche Version sagt:

„Die Produkte werden so ausgelegt und hergestellt, dass eine sichere Anwendung in Verbindung mit Werkstoffen und Stoffen, einschließlich Gasen, mit denen sie bei bestimmungsgemäßer Anwendung in Kontakt kommen, gewährleistet ist; sind die Produkte zur Verabreichung von Arzneimitteln bestimmt, werden sie so ausgelegt und hergestellt, dass sie entsprechend den für diese Arzneimittel geltenden Bestimmungen und Beschränkungen mit den Arzneimitteln verträglich sind und dass die Leistung sowohl der Arzneimittel als auch der Medizinprodukte entsprechend ihrer Gebrauchsanweisung und Zweckbestimmung aufrechterhalten bleibt.“

In der englischen Version heißt es nun plötzlich:

„Devices shall be designed and manufactured in such a way that they can be used safely with the materials and substances, including gases, with which they enter into contact during their intended use; if the devices are intended to administer medicinal products they shall be designed and manufactured in such a way as to be compatible with the medicinal products concerned in accordance with the provisions and restrictions governing those medicinal products and that the performance of both the medicinal products and of the devices is maintained in accordance with their respective indications and intended use.”

Genauso verhält es sich in einer weiteren grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderung:

                                                     Annex I, 16.4 b:

Die deutsche Version sagt:

„Produkte, die zum Aussenden ionisierender Strahlung bestimmt sind, werden so ausgelegt und hergestellt, dass — soweit möglich — unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung die Quantität, die Geometrie und die Qualität der ausgesandten Strahlung verändert und kontrolliert und — soweit möglich — während der Behandlung überwacht werden können.“

In der englischen Version :

Devices intended to emit ionising radiation shall be designed and manufactured in such a way as to ensure that, where possible, taking into account the intended use, the quantity, geometry and quality of the radiation emitted can be varied and controlled, and, if possible, monitored during treatment.

Zweites Wortpaar demzufolge:

                                                         Zweckbestimmung = intended use

Um dem nachzugehen eine Probe aufs Exempel – ausgehend von der englischen Version der MDR nun eine Suche nach „intended use“ und den zugehörigen Entsprechungen im deutschen:

Es wird ein weiteres Wortpaar eingeführt, nämlich:

                                                         Intended use = bestimmungsgemäße Verwendung

                                                          Artikel 61, 1:

In der deutschen Version :

Die Bestätigung der Erfüllung der einschlägigen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I bei normalem bestimmungsgemäßer Verwendung des Produkts sowie die Beurteilung unerwünschter Nebenwirkungen und der Vertretbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses gemäß Anhang I Abschnitte 1 und 8 erfolgen auf der Grundlage klinischer Daten, die einen ausreichenden klinischen Nachweis bieten, gegebenenfalls einschließlich einschlägiger Daten gemäß Anhang III.

Und der englischen Version :

Confirmation of conformity with relevant general safety and performance requirements set out in Annex I under the normal conditions of the intended use of the device, and the evaluation of the undesirable side-effects and of the acceptability of the benefit-risk- ratio referred to in Sections 1 and 8 of Annex I, shall be based on clinical data providing sufficient clinical evidence, including where applicable relevant data as referred to in Annex III.

Diese Entsprechung findet sich an insgesamt 12 weiteren Stellen in der MDR.

An einer weiteren Stelle gar mit einer sehr unbefriedigenden Unschärfe – hier wird die im deutschen mittels „bestimmungsgemäß“ genauer spezifizierte „Verwendung“ im englischen lediglich mit dem uneingeschränkten „use“ wiedergegeben:

                                                        Art. 2, 24

In der deutschen Version:

„[…] die Analyse aller Bewertungen des Nutzens und der Risiken, die für die Bestimmungsgemäße Verwendung eines Produkts entsprechend der vom Hersteller angegebenen Zweckbestimmung von möglicher Relevanz sind;“

Und in der englischen Verison:

„[…] the analysis of all assessments of benefit and risk of possible relevance for the use of the device for the intended purpose, when used in accordance with the intended purpose given by the manufacturer;

                                                     Art 2, 24:

                                        Die Bestimmungsgemäße Verwendung = the use

Eine beinahe babylonische Sprachverwirrung – und das bereits ohne die +20 weiteren Spracheversionen der MDR zu berücksichtigen! Der Gesetzgeber scheitert daran für die Betroffenen Klarheit zu schaffen – mutmaßlich aufgrund von verschiedenen Autoren für unterschiedliche Teile der MDR (und vielleicht auch Übersetzern), die sich offensichtlich nicht abgestimmt haben.

Nachträglich scheint dies auch erkannt worden zu sein, denn es gab den Versuch der Klarstellung mittels eines MDCG-Papiers. Nur leider ging dieser gründlich schief und ist auch nur auf Englisch verfügbar

Die MDCG 2020-6, die sich mit klinischen Nachweisen für legacy Produkte auseinandersetzt, postuliert in den Definitionen die Gleichsetzung und Synonymität von „intended purpose“ und „intended use“. Die Aussage stützt sich darauf, dass diese Begriffe die Wirkung eines Produktes beschreiben und somit klar von der Indikation der Produkte zu unterscheiden sind, welche sich auf den klinischen Zustand bezieht.

Die Gleichsetzung der beiden Begriffe wird auch in den Definitionen der ISO14971:2019 vorgeschlagen. Frappierend ist jedoch die Tatsache, dass die in der ISO 14971 beigefügte Anmerkung eindeutig festlegt, dass die Indikation eines Medizinproduktes als wesentlicher Bestandteil der Zweckbestimmung anzusehen ist. Als weitere übliche Bestandteile werden die Patientenpopulation, das Körperteil oder die Gewebeart, für die das/die eine Anwendung vorgesehen ist, das Anwenderprofil, die Anwendungsumgebung und die Funktionsweise definiert.

Letztlich bleibt:

  • Die gesetzliche Grundlage (die MDR (EU) 2017/745) ist verwirrend und unklar, weil Definitionen fehlen und Begriffe teils willkürlich synonym eingesetzt werden.
  • Die MDCG-Guidance setzt die Begriffe „intended purpose“ und „intended use“ gleich.
  • Die ISO Norm 14971 setzt die Begriffe ebenfalls gleich und steht mit der ergänzenden Erläuterung der Bestandteile im Widerspruch zur MDCG und dem Anhang II der MDR.

Beide zuletzt genannten Quellen sind rechtlich nicht bindend. Wie könnte eine Lösung aussehen?

Vorschlag für einen Lösungsansatz zur Zweckbestimmung

Die Lösung findet sich leider nicht klar beschrieben, sondern eher nach und nach aus der Vogelperspektive. Sobald man damit konfrontiert ist eine technische Dokumentation zu erstellen und Regeln für die Vergabe des Basis-UDI in seinem QM System zu etablieren, ergibt sich langsam ein klareres Bild.

Ein häufig unterschätzter Bestandteil der technischen Dokumentation ist das Kapitel 1.1 im Anhang II. Hier geht es um die Produktbeschreibung. Im Unterpunkt

  1. a) lesen wir „Zweckbestimmung“, aber zusätzlich „vorgesehenen Anwender“; weiter in
  2. c) „Patientengruppe“, „Krankeitszustand“, „Indikationen“ und
  3. d) „Wirkungsweise“, etc. –

das erinnert sehr stark an die Definition aus dem Risikomanagement. Ohne diese zusätzlichen Punkte ist es tatsächlich nicht möglich ein Risikomanagement nach Stand der Technik zu erstellen. Selbstredend werden diese Informationen für eine klinische Bewertung benötigt. Aber nicht in jedem Fall wird diese umfassende Definition auf einer Verpackung als Zweckbestimmung angegeben sein. Unsere Empfehlung an Sie: verstehen Sie die Zweckbestimmung (=intended purpose) als eine Teilmenge des bestimmungsgemäßen Gebrauchs (=intended use). Dies hilft Ihnen auch bei der Strukturierung Ihrer Produkte in Basis UDI- DIs und lässt sich wie folgt darstellen:

Diese Darstellung eignet sich für die EU. Sie stellt nicht den „Intended Use“ nach Verständnis der FDA dar.

Vermutlich ist es wirklich egal, ob Sie nun von „intended purpose“ oder „intended use“ sprechen. Stellen Sie aber sicher, dass alle in Ihrem Unternehmen wissen, was als Zweckbestimmung und was als bestimmungsgemäßer Gebrauch zu verstehen ist und wann diese jeweils heranzuziehen sind. Fühlen Sie sich dem trotz intensiver Auseinandersetzung noch nicht gewachsen? Gerne unterstützen wir Sie bei der Erarbeitung Ihres intended purpoes und/oder intended use.

Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.