Die EU MDR – 26. Mai 2012 – 2017 – 2021
Die EU-weit geltende Medical Device Regulation (MDR) sollte ursprünglich für mehr Transparenz und Sicherheit beim Inverkehrbringen von Medizinprodukten sorgen. Trotz dieser Absicht steht sie seit ihrer Einführung in der Kritik von Herstellern und Branchenvertretern. Die Anforderungen und der damit verbundene administrative Aufwand werden als zu hoch empfunden. Was hindert an einer zufriedenstellenden Umsetzung, und wo liegen die Versäumnisse von Gesetzgeber, Herstellern und Dritten? Der folgende Beitrag beleuchtet die Verordnung kritisch und identifiziert Schwächen in der Umsetzung 12 Jahre nach dem ersten Entwurf, 8 Jahre nach ihrem in Kraft treten und vier Jahre nach Gültigkeitsbeginn.
Der Wind in der Medizintechnik vor 2017
Im Jahr 2025 zeigt sich die europäische Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 (MDR) vielen Herstellern als ein komplexes Regelwerk mit unklarem praktischem Mehrwert. Doch blickt man zurück auf die Jahre 2010 bis 2012, relativiert sich diese Sichtweise. Der Skandal um die fehlerhaften Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) im April 2010 führte zu einem massiven Vertrauensverlust. Dies resultierte in der Einführung des Dalli Immediate Action Plans 2012, der eine striktere Überwachung der Hersteller und Zertifizierungsstellen zur Verbesserung der Prüfungsqualität zum Ziel hatte.
Im Oktober 2012 deckte ein britisches Journalistenteam auf, dass eine nichtexistierende Metall-auf-Metall-Hüftprothese von mehreren Zertifizierungsstellen genehmigt worden war. Diese Vorfälle führten dazu, dass die Europäische Kommission bis Juni 2014 neue Vorschriften zur Benennung und Überwachung von Zertifizierungsstellen erließ, was bereits zur Rücknahme von Zertifikaten führte.
Die Kommission hatte schon vor dem PIP-Skandal an einer Reform gearbeitet, doch die Ereignisse verstärkten die Forderungen nach mehr Patientensicherheit durch strengere Zulassungsprinzipien, ähnlich denen in der Pharmaindustrie oder bei der US-amerikanischen FDA. In den Jahren 2013 und 2014 wurde der erste Entwurf der MDR im europäischen Parlament diskutiert und schließlich verabschiedet. Der Fokus lag auf Sicherheit, Transparenz und Überwachung, wobei die Verantwortung für die Konformitätsbewertung weiterhin bei den Herstellern blieb. Der Markteintritt sollte ohne behördliches Zutun möglich sein, was einen wesentlichen Unterschied zu den Zulassungsverfahren außerhalb Europas darstellt, auch wenn einige Hersteller dies gerade während des Übergangs von MDD/AIMD zu MDR anders wahrnehmen.
Versäumnisse durch Hersteller und Lobbyverbände?
Die MDR bringt unbestreitbare Herausforderungen mit sich. Zwar haben die Reviews durch benannte Stellen deutlich zugenommen, doch viele Hersteller sind auch acht Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung noch nicht ausreichend ihrer Verantwortung gerecht geworden. Das Bewusstsein für gesetzliche Pflichten war oft mangelhaft, insbesondere bei Klasse I Produkten, wo klinische Bewertungen nur selten zur Einsicht durch Behörden eingefordert wurden. Das führte dazu, dass viele Hersteller keine entsprechenden Bewertungen erstellten. So wurde beispielsweise auch das Risikomanagement bei Klasse IIa Produkten oft nicht regelmäßig aktualisiert, da es keine Einsichtnahme durch die benannten Stellen gab. Nicht gefragt, nicht für nötig erachtet, nicht dokumentiert.
Somit stehen Unternehmen seit Mai 2021 nicht nur vor der Aufgabe, die Anforderungen der MDR zu erfüllen, sondern müssen auch Lücken aus der alten MDD-Ära schließen. Die MDR lässt dabei keine Missverständnisse zu, was die erforderliche Dokumentation anbelangt, wobei ein Großteil der nun definierten Inhalte bereits seit 1993 verklausuliert im Rahmen der MDD 93/42 EWG gefordert wurde.
Besonders deutlich wird dies bei Überwachungsaudits nach der MDD, aber unter einer neuen benannten Stelle oder bei den MDR-Stage-1- und -Stage-2-Audits, bei denen jetzt erhebliche Lücken in den Bereichen Prozessvalidierung, klinische Daten und Entwicklungsdokumentation aufgedeckt werden. Vor allem ehemalige Private Label Manufacturer (PLM), die sich auf die Zertifizierungsunterlagen ihrer OEMs verlassen haben, sind betroffen. Durch das Aufzeigen der relevanten Inhalte einer technischen Dokumentation im Anhang II und III der MDR und somit auch erforderlicher Dokumentation innerhalb des Qualitätsmanagementsystems werden nun gezielt Inhalte wie Fertigungsdokumentation, Entwicklungsakten und Prozessvalidierungen von den benannten Stellen eingefordert – sei es im Audit oder während der Aktenprüfung.
Hersteller sollten sich daher ehrlich hinterfragen, welche Erwartungen sie als Konsumenten an die Sicherheit und Funktionalität von Produkten stellen, die ebenfalls dem Konformitätsbewertungsprinzip unterliegen: nämlich, dass die Verantwortung in erster Linie beim Hersteller verbleibt. Diese Frage gilt neben Medizinprodukten für Maschinen, Spielzeuge oder Feuerwerkskörper und künftig auch für künstliche Intelligenz. Ein reflektierter Umgang mit diesen Erwartungen kann helfen, die eigenen Qualitätsmanagementsysteme zu verbessern und die geforderten Nachweise rechtzeitig zu erbringen.
Mängel in der MDR
Die MDR stellt unbestreitbare Herausforderungen dar, die sachlich diskutiert werden müssen, insbesondere in Bezug auf ihren Mehrwert. Ein oft übersehener Aspekt sind die Sprachversionen der MDR. Obwohl alle Versionen als gleichwertig gelten, spiegelt die englische Fassung vermutlich die ursprünglichen Intentionen am besten wider. Dies führt zu Inkonsistenzen, insbesondere bei zentralen Begriffen wie „Zweckbestimmung“, die entscheidend für die Einhaltung der Verordnung sind (vgl. Tabelle 1). Im Gegensatz zur klaren Definition in der Verordnung für In-Vitro Diagnostika (IVDR) fehlt dieser Detailgrad in der MDR, was zu Missverständnissen führt.
Ein weiteres Problem ist, dass viele MDCG-Guidances, die nicht bindend sind, aber auch als Stand der Technik zu berücksichtigen sind, nur in englischer Sprache vorliegen. Hersteller, deren Muttersprache nicht Englisch ist, riskieren, unterschiedliche Interpretationen zu entwickeln, was zu abweichenden Anforderungen führen kann. Klärender Kontakt zu benannten Stellen ist oft eingeschränkt, da diese nicht beratend tätig sein dürfen, was die Präzisierung von Anforderungen erschwert.
So fordert zum Beispiel die MDR umfangreiche klinische Daten, die oft über das hinausgehen, was für eine realistische Risikobewertung notwendig wäre. Diese Anforderungen können insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) untragbar sein. Vage Vorgaben führen zu endlosen Iterationsschleifen mit den benannten Stellen, ohne dass ein klarer Nutzen für die Patientensicherheit erkennbar ist. In der Folge wird die Innovationskraft gehemmt, während die Kosten steigen, ohne dass ein verbesserter Schutz gewährleistet ist.
Die Anforderungen an die Dokumentation und die Prozesse sind oft nicht direkt in den Artikeln der MDR adressiert, sondern in den Anhängen versteckt, was die Transparenz verringert. Insbesondere die Informationspflicht der Hersteller gegenüber den benannten Stellen bei Änderungen am Produkt oder QMS (Anhang VII, Abschnitt 4.9) wird häufig nicht ausreichend wahrgenommen, was zu Problemen im Auditprozess führt.
Zudem zeigen die Erfahrungen aus den letzten Monaten, dass einige Auditoren trotz der MDR ihre Vorgehensweise nicht angepasst haben. Dies führt dazu, dass kritische Themen erst im Review der Technischen Dokumentation aufkommen, wo oft wichtige Aspekte wie Lieferantenmanagement und Prozessvalidierung nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Vertrauen wieder hergestellt? Behandlung erfolgreich durchgeführt?
Acht Jahre nach der Verabschiedung der MDR und vier Jahre nach Gültigkeit derselben zeigt sich ein gemischtes Bild. Die angestrebte Wiederherstellung des Vertrauens in die Medizintechnik wird durch negative Berichterstattung einiger Verbände und Hersteller konterkariert. Lieferengpässe, die durch langwierige Begutachtungen entstehen, verschärfen die Situation und sorgen für schlechte Stimmung. Während ein risikobasierter Ansatz auf Seiten der benannten Stellen wünschenswert wäre, sehen sich Hersteller einem enormen Aufwand in der Nachweisführung und Dokumentation gegenüber, was letztlich auch die Kosten für das Gesundheitssystem und die Bürger der EU erhöht.
Die strikte Prüfung durch benannte Stellen kann zwar Lücken in der Konformitätsbewertung schließen, führt jedoch oft zu endlosen Review-Schleifen, wobei der patientenbezogene Mehrwert nicht immer eindeutig erkennbar ist. Auch wird durch die kritische Begutachtung so manches Medizinprodukt tatsächlich vom Markt verschwinden, unter Umständen auch zum Bedauern der Anwender und Patienten. Jedoch kann man für manche dieser Produkte (nicht alle!) sagen, dass dies durchaus im Interesse der Patienten passiert, da die Produkte bereits unter MDD nicht konform gewesen waren und ihre Sicherheit und Leistung eigentlich nie dokumentiert und belegt war. Da diese Produkte nun aber z.B. höher klassifiziert werden und dadurch genauer (oder erstmalig) durch eine benannte Stelle geprüft werden, fallen diese Lücken auf und die Hersteller sind nicht in der Lage, die notwendigen Nachweise zu etablieren.
Es wird sich erst langfristig zeigen, ob es durch den erhöhten Kostenaufwand für Produkte, die in Europa hergestellt, aber auch dokumentiert werden, zu einer Verlagerung ins nicht-europäische Ausland kommen wird. Auch wissenschaftliche Fachgesellschaften wie die AMWF sehen im Bereich der klinischen Datenerhebung dringend Handlungsbedarf, um den Forschungsstandort Deutschland zu erhalten
Grundsätzlich macht der Gesetzgeber bei den Anforderungen an Medizinprodukte keinen Unterschied in Bezug auf den Produkt- und Dokumentationsursprung – sprich sie sind genauso hoch für europäische wie nicht-europäische Hersteller. Im tatsächlichen Doing darf jedoch hinterfragt werden, ob die Auditoren und die Reviewer der Technischen Dokumentation, welche von den benannten Stellen außerhalb Europas eingesetzt werden, immer dieselben hohen Ansprüche durchsetzen wie die in der EU ansässigen. Diese Frage gründet auf Erfahrungswerten aus der Beratung im Rahmen der MDR-Zertifizierung. Es bleibt auch zu hoffen, dass die zuständigen Behörden die EU-Repräsentanten mit derselben Genauigkeit in den Bereichen Aufbereitung und elektrischer Sicherheit ins Visier nehmen, wie sie dies z.B. bei ansässigen Herstellern der Klasse I tun. Nur wenn es hier zu einer fairen, und vergleichbaren Überwachung kommt, wird man langfristige, negative Auswirkungen für die Hersteller und die Innovation & Forschung in Europa im Vergleich zu nicht-europäischen Herstellern und Forschungsinitiativen abwenden können und das gesetzte Ziel erreichen: Sichere und leistungsfähige Produkte für Patienten in Europa zur Verfügung stellen – zu einem fairen Preis und am besten aus europäischer Wertschöpfungskette inkl. Herstellung.
Diese Verantwortung liegt bei Herstellern, Wirtschaftsakteuren, benannten Stellen und Behörden.
Eine lange Version dieses Artikels ist in der Ausgabe 01.2025 der mt medizintechnik erschienen.
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