Sterilprodukte stellen einen nicht unerheblichen Teil des Medizinproduktemarkts dar. Viele Verbrauchsmaterialien werden in sterilem Zustand geliefert. Oft auch als Zubehör für wiederverwendbare Medizinprodukte. Im Rahmen unserer Reihe rund um die Sterilisation widmen wir uns den verschiedenen Methoden, jedoch auch weiteren Prozessen rund um die Validierung. Im ersten Teil haben wir bereits einige zentrale Begriffe erklärt und einen Blick auf die Sterilisation unter Verwendung von Ethylenoxid geworfen.
Hier im zweiten Teil soll es nun um das Thema Strahlensterilisation gehen.
Was gibt es über die Sterilisation mittels Strahlung zu wissen?
Die Sterilisation mit Strahlen kann unter Verwendung verschiedener Strahlenarten erfolgen
- Beta-Strahlung
- Gamma-Strahlung
Beta-Strahlung wird beim Beta-Zerfall erzeugt, bei dem in einem radioaktiven Element ein Neutron durch Ausstoß eines Elektrons in ein Proton umgewandelt wird. Meistens wird als Strahlungsquelle Cäsium-137 verwendet, das sich in Barium-137 umwandelt.
Dagegen stellt Gamma-Strahlung eine elektromagnetische Strahlung dar, die sowohl bei Alpha- als auch Beta-Zerfall auftreten kann. Die bei diesen Vorgängen entstehende Alpha- und Betastrahlung besteht aus geladenen Teilchen, während Gammastrahlung aus ungeladenen Photonen oder Quanten besteht. Es entsteht z. B. nach Beta-Zerfall eines Cäsium-137 ein angeregtes (metastabiles) Barium-137, das die überschüssige Energie in Form eines Gammaquanten (Photon) abgibt und damit Gamma-Strahlung erzeugt. Diese Strahlung kann mit Röntgenstrahlung verglichen werden, auch wenn die Ursache der Strahlung eine andere ist.
In beiden Fällen (Beta wie Gamma) erfolgt durch die Strahlung während der Sterilisation ein Energieeintrag in das Produkt, die einen Einfluss auf das Produkt, die Verpackung und darauf befindliche Mikroorganismen hat oder haben kann. Keine Sorge, Ihr Produkt wird durch die Bestrahlung nicht radioaktiv!
Der Wirkmechanismus der Sterilisation mit Strahlen basiert auf der Indizierung von Strangbrüchen der DNA. Dabei werden die auf dem Produkt befindlichen Mikroorganismen abgetötet, verbleiben aber an sich auf dem Produkt haften. Da die Strahlung einerseits das ganze Medizinprodukt durchdringen muss, andererseits aber die Funktionsfähigkeit, Leistung und Sicherheit des Produkts nicht negativ beeinflusst werden darf, wird diese Sterilisationsmethode besonders gerne für einfache Einmalartikel verwendet.
Ein zentraler Aspekt für die Entwicklungsphase eines Medizinprodukts und seines Sterilbarrieresystems ist die Materialauswahl. Nicht jedes Material ist für die Sterilisation mittels Strahlung geeignet, denn die Strahlung bewirkt nicht nur die Aufspaltung von Kettenmolekülen wie z. B. DNA, sondern kann auch bei Kettenmolekülen, wie sie in Kunststoffen vorliegen, zu abbauenden Reaktionen führen, was eine Verschlechterung der Materialeigenschaften und somit der Sicherheit und Leistung über den gesamten Produktlebenszyklus bedeutet. Es gibt jedoch auch die umgekehrte Wirkung: Bei bestimmten Kunststoffen kann es durch die Strahlensterilisation sogar zu vernetzenden Reaktionen kommen, die eine Verbesserung der Materialeigenschaften bedeuten. Außerdem gibt es auch Kunststoffe, die sich im angewendeten Strahlenbereich neutral verhalten und somit durch den Sterilisationsvorgang weder positiv noch negativ beeinträchtigt werden. All dies ist im Rahmen der Entwicklungsphase zu prüfen und in die Materialauswahl mit einzubeziehen.
Wie läuft eine Sterilisation mittels Strahlung ab?
Die Sterilisation mittels Strahlung hat gegenüber der Sterilisation mit Ethylenoxid einige Vorteile, die sich insbesondere im Ablauf des eigentlichen Sterilisationsvorgangs finden und diesen deutlich kürzer halten:
- Eine Vorkonditionierung der Produkte ist nicht notwendig.
- Eine nachgelagerte Ausgasungsphase ist nicht notwendig.
- Es müssen keine Grenzwerte bzgl. des Sterilisationsprozesses berücksichtigt werden.
- Die Produkte können zeitnah nach der Sterilisation weitertransportiert bzw. in Verkehr gebracht werden.
Der Ablauf unterscheidet sich je Strahlungsart im Bereich der Sterilisationskammer bzw. der Packmethode der Produkte: Bei der Sterilisation mittels Gamma-Strahlung fahren die Produkte auf Paletten auf einem automatisierten Band um eine Strahlenquelle herum, bis die entsprechende Kilogray-(kGy)-Menge, also Strahlungsdosis, erreicht wurde. Im Gegensatz werden die Produkte bei der Beta-Strahlung in Kartons, aber nicht in ganzen Paletten bestrahlt. Die Kartons laufen auf einem Transportband unter der Elektronenquelle hindurch und sind danach mit der entsprechenden Dosis bestrahlt.
EN ISO 11137-1 & -2 – normative Vorgaben für die Sterilisation mittels Strahlen
Für die Sterilisation mittels Strahlen gibt es die EN ISO 11137-1:2015 + A2:2019 „Sterilisation von Produkten für die Gesundheitsfürsorge – Strahlen – Teil 1: Anforderungen an die Entwicklung, Validierung und Lenkung der Anwendung eines Sterilisationsverfahrens für Medizinprodukte“. Diese Norm sowie die zugehörige EN ISO 11137-2:2015 „Sterilisation von Produkten für die Gesundheitsfürsorge – Strahlen – Teil 2: Festlegung der Sterilisationsdosis“ wurden auch bereits von der EU-Kommission für beide Verordnungen, die MDR 2017/745 und die IVDR 2017/746, harmonisiert. Einzig bei den Ausgabeständen der EN ISO 11137-1 darf man sich nicht verwirren lassen, am besten greift man auf die DIN-EN-ISO-Version von 2020 zurück.
Die Validierung der Sterilisationsmethode ist dank der EN ISO 11137-1 relativ übersichtlich. Zunächst fordert die EN ISO 11137-1 Aspekte des Qualitätsmanagements, z. B. der Produktrealisierung und andere, diese sind jedoch im Allgemeinen über die EN ISO 13485 abgedeckt und sollten keine besondere Herausforderung darstellen. Für Aspekte der Charakterisierung des sterilisierenden Agens bzw. das Verfahren und der Ausrüstung sowie der Abnahmebeurteilung (IQ) und der Funktionsbeurteilung (OQ) ist meist der Lohnsterilisierer zuständig, da Strahlensterilisation klassischerweise ein ausgelagerter Prozess ist. Nichtsdestotrotz sollten sich Hersteller auch im Bereich der IQ und OQ nicht blind auf Ihren Lohnsterilisierer verlassen, sondern dessen Status in Erfahrung bringen. Eine wichtige Aufgabe des Herstellers ist wie bei fast allen Sterilisationsvalidierungen die Bestimmung des Bioburden vor Sterilisation inkl. Warn- und Aktionsgrenze. Gegenüber der Sterilisation mit Ethylenoxid entfällt dafür die Verwendung von Bioindikatoren und wird durch die Verwendung von Dosimetern ersetzt.
Im Zusammenhang mit der Leistungsbeurteilung (PQ), die der Hersteller zusammen mit dem Sterilisationsdienstleister für seine Produkte erbringen muss, ist die Dosisverteilung unter Verwendung des Produkts mit einem festgelegten Beladungsmuster im Bestrahlungsbehälter notwendig. Bei der Bestrahlung von Paletten oder Kartons muss sichergestellt werden, dass alle Produkte innerhalb dieser Einheiten die Mindestdosis zur Erlangung der Sterilität erhalten. Und natürlich auch, dass das Produkt nicht mehr Strahlen ausgesetzt ist als nötig, um die Sicherheit und Leistung des Produkts nicht negativ zu beeinträchtigen. Um dies zu gewährleisten, erfolgt ein „Dose mapping“ bzw. eine Dosiskartierung mit einer Vielzahl von Messpunkten. Im späteren Standardlauf kann dann anhand der während der Leistungsbeurteilung erhobenen Daten von den Standardmesspunkten auf die minimale und maximale Dosis umgerechnet werden, um die tatsächliche Strahlendosis zu ermitteln, und somit die jeweilige Charge freigegeben werden.
Die EN ISO 11137-1 und EN ISO 11137-2 kennen mehrere Verfahren zur Validierung der Strahlensterilisation:
- Verfahren 1
- Verfahren 2A und Verfahren 2B
- VDmax Methode VDmax25
- VDmax Methode VDmax15
In den Verfahren 1 und 2 wird zunächst eine produktspezifische Strahlendosis ermittelt, die nachfolgend validiert werden muss. Dies bedeutet einen hohen Aufwand bei der Nachweisführung. Die VDmax Verfahren greifen direkt auf die Anwendung einer Strahlendosis von 25 bzw. 15 kGy zurück und sind daher vom Validierungsaufwand deutlich einfacher, allerdings gilt beispielsweise, dass für VDmax 25 im Chargenmittel die Keimbelastung höchstens 1000 CFU betragen darf. Bei der VDmax15 liegt der Wert bei 1,5. Im CFU Keimbelastung im Chargenmittel. Im Weiteren werden wir nur das VDmax-Verfahren erläutern.
Zunächst erfolgt die Bioburden-Bestimmung nach EN ISO 11137-1 an zehn Produkteinheiten von je drei unabhängigen Produktchargen. Dabei wird die Durchschnittsbelastung je Produkteinheit ermittelt. Dieser Bioburden muss mithilfe des Korrekturfaktors ermittelt werden. Genauere Informationen dazu stellen wir Ihnen in einem nachfolgenden Artikel zum Thema Bioburden im Rahmen unserer Themenreihe zusammen.
Die Strahlendosis, die im Dosis-Verifizierungsversuch angewendet werden muss, wird entweder direkt aus den Tabellen 9 oder 10 der EN ISO 11137-2 entnommen oder mithilfe der Formel SIP VDmax25 = (SIP gleich 1,0 VDmax25) + (SIP-Dosisreduktionsfaktor × log SIP) berechnet.
Sollte diese errechnete Verifizierungsdosis überschritten sein, muss der Versuch wiederholt werden.
Im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Wirksamkeit eines Sterilisationsprozesses legt die EN ISO 11137-1 klare Grenzwerte und Mindestanforderungen fest. In den meisten Fällen ist der Bioburden mindestens alle drei Monate zu erheben, in speziellen Fällen sogar jeden Monat. Eine Überprüfung in einem erneuten Dosisverifizierungsversuch, ob die Sterilisationsdosis ausreichend ist, erfolgt ebenfalls alle drei Monate, es sei denn, die Verlängerung der Zeitabstände wird entsprechend begründet und spezielle Anforderungen sind erfüllt.
Wichtige Parameter der Strahlensterilisation sind:
- Abgegebene Strahlendosis in kGy
- Geschwindigkeit des Transportbandes
- Beladungsmuster
- Dichte und Material des Produkts und der Verpackung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Strahlensterilisation Vorteile in der Bearbeitungszeit und der rückstandsfreien Sterilisation hat. Nachteilig kann sein, dass die Materialien oder das Gerät selbst geschädigt und dass Sterilisationsanlagen im Allgemeinen nicht direkt an die eigene Produktion angeschlossen werden können und damit die Produkte zur Anlage geliefert und danach wieder zurücktransportiert werden müssen.
Neu in der aktuellsten Ausgabe der EN ISO 11137-1 sind folgende Punkte:
Unter 6.25 gibt es eine neue ergänzte Anforderung zur technischen Dokumentation. Punkt m) führt auf, dass Vorrichtungen zur Einstellung der Bestrahlung dokumentiert sein müssen, die bei Fehlfunktionen der Target-Kühlanlagen greifen würden.
Eine Definition für die Produktfamilie wurde hinzugefügt: Dabei können Produkte gruppiert werden, wenn deren Eigenschaften die Sterilisation unter gleichen definierten Prozessbedingungen erlauben und die gleiche Art und Anzahl von Mikroorganismen umfassen.
Eine Sterilisationsdosis für eine Produktfamilie kann nur dann festgelegt werden, wenn die Anforderungen für die Definition einer Produktfamilie nach EN ISO 11137-2 erfüllt sind.
Im Kapitel „8.2 Ermittlung der Sterilisationsdosis“ wird auf die DIN EN ISO 11137-2 verwiesen.
Sie strahlen jetzt vor Begeisterung für diese Methode? Nun, wie bereits angeführt, erfreut sich die Methode immer größerer Beliebtheit. Wir leisten Ihnen gerne Unterstützung bei der Erbringung aller notwendigen Dokumentation und der Planung Ihrer Prozesse gemeinsam mit Ihrem Sterilisationsdienstleister.
Sie haben den ersten Teil verpasst? Dann schauen Sie hier vorbei https://www.regulatory-affairs.org/entwicklungsprozesse/artikelseite-entwicklungsprozesse/der-dreck-muss-weg-auch-der-unsichtbare/
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.