Auf den ersten Blick sind die Menschen oft verwirrt vom Begriff „Usability Engineering“ und wissen nicht, wie sie diesen einordnen sollen. Aber in der Tat ist das Konzept der Gebrauchstauglichkeit ein sehr wichtiges, wenn es um die Sicherheit und Wirksamkeit von Medizinprodukten geht. Usability Engineering wird seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie oder anderen Branchen eingesetzt, erst seit kurzem auch in der Medizintechnik. Allerdings ist es nicht zu unterschätzen, welche Auswirkungen Usability auf die Gesundheitsversorgung hat.

Was ist Usability Engineering und warum ist es wichtig?

In einem Whitepaper stellt die BSI Group (British Standards Institution) den Begriff „Usability“ als „eine multidimensionale Qualität dar, die sich auf die Fähigkeit eines Menschen bezieht, leicht und relativ fehlerfrei mit einem System oder Produkt zu interagieren“. Daher sind im Laufe der Zeit Begriffe wie „benutzerfreundlich“ oder „intuitiv“ mit dem Konzept der Gebrauchstauglichkeit verbunden worden. Diese weist auch darauf hin, dass ein System so funktionieren sollte, wie es die Benutzer erwarten.

Wenn es um die Gesundheitsversorgung und Medizinprodukte geht, hat die Gebrauchstauglichkeit einen großen Einfluss. Wenn einem Medizinprodukt jedoch die Usability fehlt, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Fehler auftreten, oder die Nutzung des Produkts kann langsamer, d.h. nicht wie vorgesehen sein. Infolgedessen kann die Therapie unter Umständen gar nicht oder nur schlecht durchgeführt werden und die Sicherheit der Patienten kann gefährdet sein. Deshalb wurde den gesetzgebenden Institutionen immer mehr bewusst, dass Usability Engineering in die Vorschriften aufgenommen werden sollte und so zu einem wesentlichen Bestandteil der Anforderungen an Medizinprodukte wird.

Regulatorischer Rahmen

Wie bei anderen Aspekten von Medizinprodukten gibt es auch bei der Usability einen rechtlichen Rahmen. Es wird von mehreren Institutionen und deren Vorschriften bereitgestellt, darunter sind die FDA, die MDR und die Norm IEC 62366-1.

In der MDR gibt es spezifische Anforderungen an den Aspekt der Gebrauchstauglichkeit, die meisten davon sind Teil der Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen, die vor allem besagen, dass ein Hersteller Risiken, die mit einer fehlerhaften Verwendung verbunden sind, beseitigen oder reduzieren sollte. Maßnahmen sollen umgesetzt werden, welche die Zweckbestimmung, die Benutzer und die Umgebungsbedingungen berücksichtigen. Außerdem müssen Produkte für den Einsatz durch Laien so konzipiert und hergestellt werden, dass die Sicherheit bei sachgemäßer Verwendung gewährleistet ist und das Fehlerrisiko durch den Umgang mit dem Produkt reduziert wird. Darüber hinaus sollte die technische Dokumentation die Ergebnisse der Produktverifikation und -validierung enthalten, insbesondere die Ergebnisse von Aktivitäten im Zusammenhang mit der Gebrauchstauglichkeit, wie z.B. formative und summative Evaluation. Darüber hinaus ist die Usability auch bei Post-Market Clinical Follow-ups und PMS von Bedeutung. Auch Feedback von Anwendern und Informationen über Probleme oder Fehler müssen gesammelt und ausgewertet werden.

Im Gegensatz zur MDR ist die FDA sehr spezifisch in Bezug auf die Regelungen zur Usability und befasst sich seit Jahrzehnten mit diesem Thema. Sie hat einen Leitfaden mit dem Titel „Applying Human Factors and Usability Engineering to Optimize Medical Device Design“ herausgegeben. Dieser Leitfaden ist natürlich keine Norm, aber er enthält viele Listen mit Anforderungen und verweist auf die wichtigen Vorschriften und die IEC 62366 (inzwischen ersetzt durch IEC 62366-1). Dennoch ist es ein zentraler Bezugspunkt. Es beschreibt aus Sicht der FDA, welche Methoden zur Analyse von Risiken eingesetzt werden müssen, wie man sie mindert, welche Eigenschaften der Benutzer und die Benutzerumgebung haben und wie Usability-Tests geplant, implementiert und dokumentiert werden.

Die IEC 62366-1 und der Usability Engineering Prozess

Obwohl es je nach Land unterschiedliche regulatorische Anforderungen an Usability und Medizinprodukte geben kann, gibt es eine Überschneidung: Die IEC 62366 Medizinprodukte – Anwendung der Gebrauchstauglichkeit auf Medizinprodukte. Diese Norm wird in gewisser Weise sowohl von der FDA als auch von der MDR anerkannt (sie wird Teil der harmonisierten Normen sein).

In den letzten Jahren wurde die IEC 62366 durch die IEC 62366-1:2015 + COR1:2016 Medizinprodukte – Teil 1 ersetzt: Anwendung der Gebrauchstauglichkeit auf Medizinprodukte. Darüber hinaus wurde der Fachbericht IEC/TR 62366-2:2016 Medizinprodukte – Teil 2: Guidance on the application of usability engineering to medical devices veröffentlicht, um den Usability Engineering Prozess zu unterstützen.

Daher ist der UE-Prozess nach der Normenfamilie IEC 62366 wichtig, um die Gebrauchstauglichkeit aller Medizinprodukte zu gewährleisten. Der beschriebene Prozess konzentriert sich auf die Produktentwicklung, die in der Validierung des endgültigen Designs der Benutzeroberfläche mündet.

Der folgende Abschnitt zeigt eine kurze Zusammenfassung der einzelnen Schritte des Prozesses:

  • Risikobewertung und Ermitteln gefährdungsbezogener Use Scenarios

  • Use Specification: Der Hersteller sollte die Zweckbestimmung des Medizinproduktes in der Usability Engineering File (UEF) dokumentieren. Einschließlich der medizinischen Zweckbestimmung mit beabsichtigter medizinischer Indikation, Patienten- und Benutzergruppen, Anwendung einschließlich beabsichtigter Körperteile oder Gewebeart, die auf das Anwendungsumfeld und die Funktionalität einschließlich des physikalischen Prinzips und der technischen Struktur angewendet werden.

  • Identifizierung von sicherheitsrelevanten Merkmalen: Teil der Risikoanalyse, Fokus auf Usability.

  • Merkmale der User Interface (Benutzeroberfläche) In Bezug auf Sicherheit und potenzielle Anwendungsfehler.

  • Identifizierung von hinreichend bekannten oder vorhersehbaren Gefährdungen und Gefährdungssituationen: Der Schweregrad möglicher Schäden muss ermittelt werden.

  • User Scenarios: Sollte die Interaktion mit dem Benutzer beinhalten, muss auch in der UEF dokumentiert werden.

  • Identifizierung von gefährdungsbezogenen Use Scenarios

  • Risikokontrolle und Design des User Interface

  • User Interface Specifications zur Usability-Verifizierung, die sich aus der Use Specification, bekannten oder vorhersehbaren Anwendungsfehlern im Zusammenhang mit dem Medizinprodukt und gefährdungsbezogenen Use Scenarios ableitet.

  • Spezifikation der Benutzeranforderungen: Sollte Anforderungen an das Design der User Interface enthalten.

  • Auswertungspläne: Beschreibung, wie man das Design der Benutzeroberfläche untersucht und bewertet.

  • User Interface Design und Implementierung: Geeignete Usability Engineering-Methoden sollten verwendet werden, um die Benutzeroberfläche zu entwerfen und zu implementieren.

  • Risikobewertung

  • Optionale Risikokontrollanalyse: Definition von Risikokontrollmaßnahmen, die zur Risikominderung geeignet sind, und deren Umsetzung in einem nächsten Schritt.

  • Risikomanagement, formative und summative Evaluation

  • Formative Evluation: Iteratives Design und formative Bewertung durchführen, bis davon ausgegangen werden kann, dass alle nutzungsbezogenen Risiken angemessen kontrolliert werden und keine weitere Verfeinerung der Benutzeroberfläche erforderlich ist.

  • Summative Evaluation: Wird durchgeführt, um die Entwicklung der User Interface abzuschließen, mit dem Ziel zu zeigen, dass die Benutzeroberfläche sicher verwendet werden kann.

  • Risikobewertung

  • Restrisikobewertung: Bewertung des Risikos anhand von Kriterien, die im Risikomanagementplan definiert sind.

  • Risiko aus Risikokontrollmaßnahmen: Die Auswirkungen von Risikokontrollmaßnahmen müssen überprüft werden.

  • Vollständigkeit der Risikokontrolle: Sicherstellen, dass Risiken aus allen identifizierten Gefahrensituationen berücksichtigt wurden.

Was kommt als nächstes?

Wenn die Usability umgesetzt ist und alle Anforderungen erfüllt sind, gibt es bestimmte Verfahren, die den Usability-Prozess überprüfen können. Ein ganz übliches Verfahren ist die allgemeine Prüfung. Die nächste Stufe wäre die Verifizierung, die prüft, ob bestimmte Produkteigenschaften erfüllt sind. Dann folgt die Validierung, die prüft, ob der beabsichtigte Einsatz in einem bestimmten Anwendungskontext von einem bestimmten Benutzer erreicht werden kann. Es muss festgestellt werden, ob diese Verfahren durch einen automatisierten Computerprozess oder durch eine Person durchgeführt werden können.

Wie dieser Artikel veranschaulicht, ist Usability Engineering ein zentraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses von Medizinprodukten, betrifft jeden Teil des Prozesses und ist mit vielen anderen Aspekten (wie Risikomanagement, Qualitätsmanagement oder Requirements Engineering) verflochten. Deshalb ist ein durch und durch implementierter Usability-Prozess für jeden Hersteller von Medizinprodukten unerlässlich. Wenn Sie Unterstützung oder Anleitung bei der Implementierung benötigen, können Sie sich gerne an uns, die seleon gmbh, wenden.

Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.