Bewegt man sich in bestimmten Fachkreisen oder Themenbereichen, so kommen gewisse Schlagwörter immer wieder vor. Beliebt sind hier aktuell Begriffe wie „Digitalisierung 2.0“; „Industrie 4.0“, „Data Mining“ oder auch „Künstliche Intelligenz“ (englisch: Artificial Intelligence). Doch auch wenn vieles davon für Außenstehende schwer greifbar ist, so finden einzelne Teile bereits Eingang in Neuentwicklungen und damit verbundene regulatorische Fragestellungen. Aus diesem Grund möchten wir uns in einer gemeinsamen Reihe mit dem Dominik Kowalski, IEC Mitglied und dem „Institut für Intelligente Cyber-Physische Systeme (ICPS)“ der Hochschule Heilbronn diesem Thema widmen.
Künstliche Intelligenz-Was ist das eigentlich?
Im ersten Teil dieser Serie möchten wir uns überhaupt einmal einem gemeinsamen Verständnis des Begriffes „Künstliche Intelligenz“ nähern und Anwendungsbeispiele aufzeigen.
Die Murmel im Labyrinth – eine Veranschaulichung
Stellen Sie sich ein großes, dreidimensionales Labyrinth vor, das an der Oberseite einen Eingang besitzt und an der Unterseite einen Ausgang. Innerhalb dieses Labyrinths gibt es verschiedene Pfade und Wege, die jeweils vom Eingang bis zum Ausgang führen und sich auch kreuzen können. Nehmen wir nun einmal an, dass wir bunte Murmeln mit verschiedenen Eigenschaften haben. Diese unterscheiden sich z.B. nach Größe, Gewicht und Materialeigenschaften. Alle blauen Kugeln sind dabei gleich, alle gelben und auch alle roten.
Unter dieser Annahme ließe sich zu Beginn recht deutlich vorhersagen, welchen Weg die jeweils blauen, gelben oder roten Murmeln vom Eingang zum Ausgang wählen würden. Mit jeder weiteren Murmel, die jedoch durch das Labyrinth gekugelt ist und somit ihre Spuren auf den Pfaden hinterlassen hat, könnten sich die Wege und Kreuzungen im Labyrinth ändern und eine blaue Kugel könnte in Zukunft nach der Hälfte auf den Weg der gelben oder roten Kugeln abbiegen. Oder einen ganz neuen Pfad im Labyrinth beschreiten. Zeitgleich könnten auch die gelbe oder rote Kugel aus verschiedensten Gründen (gegenseitige Beeinflussung, geringere Reibung, abgestoßene Ecken) ihren Weg ändern. Wann dieser Zeitpunkt jedoch eintritt und nach welchen genauen Kriterien dies geschieht, ist von außen nicht ersichtlich. Das Labyrinth findet unter Beachtung dieser gegebenen Bedingungen und nur unter Einfluss seiner eigenen Gegebenheiten einen eigenständigen Ablauf um alle Kugeln vom Eingang zum Ausgang zu bringen. Das Labyrinth ist somit die die künstliche Intelligenz.
Neuronale Netze und „Maschine Learning“
Zwei weitere Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ immer wieder auftauchen, sind die (künstlichen) Neuronalen Netze, „Maschine Learning“ oder „Deep Learning“. Neuronale Netze bilden die wesentliche Struktur des Deep Learnings, das eine Unterklasse des Maschine Learning ist. Maschine Learning bildet hingegen eine Teildisziplinen der „Künstlichen Intelligenz“.
Künstliche Neuronale Netze basieren hierbei auf den Strukturen tatsächlicher neuronaler Netze von Organismen auf. Die natürlichen Nervensysteme bestehen aus einer Vielzahl von Neuronen, die miteinander verbunden sind und Informationen austauschen. Gemeinsam können Sie auch eine Handlung auslösen. Überträgt man diese Neuronen (auch Units oder Knoten genannt) auf das Bild des Labyrinths, könnte man sie als die Kreuzungen oder Wegpunkte im Labyrinth verstehen, die gemeinsam die Passage der Murmel beeinflussen.
Maschine Learning erlegt dem Labyrinth gewisse Regeln auf, nach denen es zu handeln hat. Es handelt sich also um eine Art Verkehrsregelung der Murmeln im Labyrinth. Kann eine blaue Kugel beispielsweise wegen ihres Durchmessers einen gewissen Abschnitt nicht passieren, wird dies auch nach dem Durchlaufen einer Vielzahl von Murmeln nicht möglich sein. Weisen die gelben Kugeln einen kleineren Durchmesser auf, so ist ihnen die Passage unter Umständen jederzeit möglich und somit immer eine Option. Somit lernt das Neuronale Netz nach vielen Versuchen, dass blaue Kugeln diese Passage nie passieren können, gelbe Kugeln hingegen können jederzeit passieren. Ist das Labyrinth in der Lage auch eine Vorfahrtsregel á la „Rechts vor Links“ durchzusetzen, ergeben sich auch somit neue Muster für die Murmeln.
Was ist der Stand in der Medizintechnik?
In den letzten Wochen und Monaten hat sich im Bereich „Künstliche Intelligenz“ auf Behörden- und Gesetzgeberseite sowie im Bereich der Normengremien einiges bewegt. Sowohl China als auch die USA sind im Bereich der Zulassungsbehörden aktiv geworden, um hier dem Thema gerecht zu werden. Und auch die gemeinsame Forschungsstelle der EU hat einen Bericht zu den Aktivitäten der Normengremien veröffentlicht.
Als zentrales Dokument, das bereits jetzt unabhängig von den Aktivitäten der einzelnen Behörden für die Medizintechnik beachtet werden sollte, kann das kürzlich veröffentlichte IMDRF Guidance Dokument „Machine Learning-enabled Medical Devices—A subset of Artificial Intelligence-enabled Medical Devices: Key Terms and Definitions“ gesehen werden. Erfahrungen mit anderen gemeinsam ausgearbeiteten Konzepten wie dem STED oder dem UDI haben bereits gezeigt, dass Konzepte der IMDRF, wenn auch meist nur langfristig, doch relativ harmonisiert global umgesetzt werden.
Zentrale im Dokument enthaltene Definitionen der IMDRF sind:
- Machine Learning-enabled Medical Device (MLMD): A medical device that uses machine learning, in part or in whole, to achieve its intended medical purpose.
- Continuous Learning: Training that leads to change of an MLMD with each exposure to data that takes place on an ongoing basis during the operation phase of the MLMD life cycle. (Modified from ISO/IEC DIS 22989)
- Supervised Machine Learning: Machine learning that makes use of labelled data during training. (ISO/IEC DIS 22989)
Alleine dieses Dokument lässt bereits den Bereich, in welchem sich Medizinprodukte mit künstlicher Intelligenz bewegen werden, vermuten: Produkte, die nach dem Prinzip des Machine Learning funktionieren. Doch bevor wir Ihnen in Teil 2 und 3 den Stand der Normungsgremien und später auch der Zulassungsbehörden präsentieren, stellt sich noch die Frage möglicher Anwendungsgebiete. Hierzu haben wir uns mit dem „Institut für Intelligente Cyber-Physische Systeme (ICPS)“ an der Hochschule Heilbronn in Verbindung gesetzt, um mögliche Ideen oder bereits tatsächliche Anwendungsbeispiele näher zu beleuchten:
Insbesondere in der bildgebenden Diagnostik kommt die Künstliche Intelligenz immer mehr zum Einsatz. Dabei können inzwischen intelligente Algorithmen Krankheitsbilder besser und deutlich schneller identifizieren als gut ausgebildete Mediziner.
Das ICPS beschäftigt sich mit anwendungsorientierter Künstlicher Intelligenz in Industrie und Medizintechnik. Als Beispiel sei ein Forschungsprojekt genannt, bei dem anhand von Röntgenbilder der Lunge Covid-19 Erkrankungen analysiert werden. Die Analyse basiert hier auf Machine Learning Algorithmen, die auf die Röntgenbilder angewandt werden. Dazu werden eine Vielzahl von Bilddateien in den Lernprozess einbezogen bis letztendlich eine eigenständige algorithmische Bildanalyse durchgeführt werden kann. Diese Methode eignet sich, um Ärzte bei der Erstdiagnose zu unterstützen und womöglich andere Krankheitsbilder der Lunge auszuschließen. Insbesondere in medizinisch nicht gut ausgestatteten Ländern kann diese Methoden effizient eingesetzt werden. Eine Erweiterung des Verfahrens auf das Krankheitsbild der Lungentuberkulose wird gerade am Institut bearbeitet.
In Zukunft wird die Künstliche Intelligenz einen immer größeren Einfluss auf die Medizintechnik haben. Bei der Diagnose, aber auch bei der optimalen Behandlung von Krankheitsbildern wird die Künstliche Intelligenz dem medizinischen Personal unterstützen. Auch im Bereich der Pflege und der Altenbetreuung wird die Künstliche Intelligenz Einzug halten und Bedürfnisse der Patienten automatisch erkennen und entsprechende Aktionen anstoßen. Bereits jetzt können intelligente Algorithmen Vorhersagen über mögliche auftretende Krankheitserscheinungen treffen, auf die dann frühzeitig reagiert werden können.
Ihnen schießen nun viele Fragen durch den Kopf, was die Anwendung künstlicher Intelligenz angeht? Dann warten Sie mit uns auf Teil 4 der Reihe zum Thema „Ethik“.
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.