Die Feststellung der Biokompatibilität von Medizinprodukten und deren Komponentenmaterialien sowie die Bewertung sind von großer Bedeutung für die Gewährleistung der Produktsicherheit. Jeglicher negative Einfluss auf Patienten in ihrer Umgebung soll vermieden werden. Die Biokompatibilität von Implantaten ist dabei besonders relevant.

Die biologische Bewertung von Medizinprodukten wird durch die internationale Normenreihe ISO 10993 – Biologische Bewertung von Medizinprodukten – geregelt. Sie besteht derzeit aus 18 einzelnen Normen sowie spezifischen technischen Berichten und zusätzlichen Richtlinien. Im Oktober 2018 wurde eine neue Ausgabe der ISO 10993-1 –Bewertung und Prüfung im Rahmen eines Risikomanagementprozesses – veröffentlicht.

Im Folgenden werden die wichtigsten Änderungen und Ergänzungen der neuen ISO 10993-1 gegenüber der Ausgabe 2009 zusammengefasst:

1. Wichtigkeit der physikalischen Eigenschaften

Im Flussdiagramm, das den systematischen Ansatz für eine biologische Bewertung von Medizinprodukten umreißt, spielen die physikalischen Eigenschaften des bewerteten Produkts eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, welche Verfahren bei Abschluss der biologischen Bewertung zu befolgen sind.

2. Geänderte und neue Definitionen

Das Kapitel der Definitionen wurde wesentlich geändert und enthält mehr als 15 neue Begriffe. Die meisten davon stammen aus anderen Normen der Serie 10993 und der ISO 14971 – Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte.

3. Neue Aspekte bei der biologischen Bewertung

Bei der biologischen Bewertung müssen mehr Aspekte berücksichtigt werden. In Kapitel 4 ist eine detaillierte Beschreibung aller zu berücksichtigenden Aspekte enthalten. Darüber hinaus ist eine Bewertung der Vor- und Nachteile für die Konstruktion des zu bewertenden Geräts vorzunehmen (d. h. Konfiguration, quantitative und qualitative Bewertung der Komponentenmaterialien).

Neue Aspekte, die für die biologische Gesamtbewertung der Medizinprodukte relevant sind, wurden hinzugefügt, nämlich alle direkten und indirekten gewebekontaktierenden Materialien (z. B. Verpackungen).

4. Weitere Reduzierung von Tierversuchen

Wie bereits in anderen Überarbeitungen der ISO 10993-Serie zu sehen war, ist die Reduzierung von Tierversuchen von großer Bedeutung. Für viele Endpunkte in vitro werden alternative Methoden als „First Choice“-Methoden empfohlen. Zusätzliche Endpunkte, die spezifische Bewertungstests erfordern, wurden in Tabelle A1 in Anhang I aufgenommen.

Der zuständige Sachverständige sollte die Auswahl der geeigneten Tests, die Interpretation der durch die Tests gewonnenen Daten und die Notwendigkeit zusätzlicher Daten zum Abschluss der biologischen Bewertung rationalisieren. Die Norm gibt auch Hinweise und Richtungen vor, welche Tests für bestimmte Medizinproduktekategorien geeignet sind.

Eine Gap-Analyse und Auswahl der biologischen Endpunkte für die Bewertung wird in Kapitel 6.2 vorgeschlagen.

Es stehen verschiedene Techniken zur Verfügung, um chemische und stoffliche Charakterisierungen durchzuführen. Entweder direkt an Materialproben oder an vorbereiteten Materialextrakten. Diese über viele Jahre entwickelten Tests sind relevant, sensibel, schnell und kostengünstig und liefern äußerst wertvolle Informationen zur Feststellung der Materialsicherheit und Biokompatibilität. Die Detaillierung der Charakterisierung und die entsprechende Bewertung sollte unter Berücksichtigung der Geräte- und Materialeigenschaften erfolgen, die für die Sicherheit und Leistung des Produkts relevant sind.

5. Beteiligung des Risikomanagementprozesses

Anhang B „Guidance on the risk management process“ wurde in „Guidance on the conduct of biological evaluation within a risk management process“ umbenannt und beinhaltet die Darstellung des Risikomanagementprozesses nach ISO 14971.

Aufgrund dieser Beteiligung ist das jeweilige Kapitel umfangreicher und umfasst die Berücksichtigung biologischer Risiken im Rahmen der biologischen Bewertung des Medizinprodukts, beginnend mit der Entwicklungsphase. Neue Konzepte zur Risikobewertung werden beschrieben und umgesetzt, beginnend mit der Anwendung der neuen Norm ISO 10993-1.

Die Bewertung und die entsprechenden Prüfungen im Rahmen des Risikomanagementprozesses nach der Ausgabe 2018 der ISO 10993-1 lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Risikobewertung von Biogefahren

  • Identifizierung der relevanten toxikologischen Endpunkte

  • Bewertung der Risiken der identifizierten biologischen Gefahren

  • Strategische Planung zur Identifizierung von Gefahren und zur Bewertung der Risiken bekannter Gefahren

  • Teststrategie mit einer Begründung für die ausgewählten oder aufgehobenen Tests

  • Biologischer Sicherheitsplan ist erforderlich.

Weitere Normen der Reihe ISO 10993 werden in Bezug darauf empfohlen, inwieweit sie bei der biologischen Bewertung des zu bewertenden Medizinprodukts berücksichtigt werden sollen, z. B. ISO 10993-17: Festlegung zulässiger Grenzwerte für auslaugbare Stoffe und ISO 10993-18: Chemische Charakterisierung von Materialien.

6. Bei keinem oder vorübergehendem Körperkontakt

Weitere Informationen zur Bewertung verschiedener Medizinproduktkategorien ohne oder nur mit vorübergehendem Körperkontakt finden Sie in Kapitel 5 Nanomaterialien, resorbierbare Materialien werden in Kapitel 4.3 behandelt.

7. Den gesamten Lebens- bzw. Verarbeitungszyklus bewerten

Ein wichtiger Aspekt der neuen ISO-10993-1-Ausgabe: Die biologische Sicherheit eines Medizinprodukts ist vom Hersteller während des gesamten Lebenszyklus eines Medizinprodukts zu bewerten. Wiederverwendbare Produkte sind unter Berücksichtigung der maximalen Anzahl von validierten Verarbeitungszyklen durch den Hersteller zu bewerten.

Was ist der Gesamteindruck dieser neuen ISO-10993-1-Ausgabe?

Eine umfassendere chemische Charakterisierung aller Komponenten mit direktem oder indirektem Gewebekontakt, die Berücksichtigung gleichwertiger Produkte oder Materialien und eine regelmäßig aktualisierte Risikobewertung sind die Säulen dieser Neuauflage.

Derzeit sind EN ISO 10993-1:2009 und AC2010 noch unter der MDD harmonisiert. Die Hersteller sollten jedoch darauf vorbereitet sein, dass die neue ISO-Version schließlich entweder im Rahmen der MDD oder der MDR verabschiedet wird. Und man kann nie zu früh vorbereitet sein.

 

Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.