Die Zulassung eines Medizintechnikprodukts erfordert absolute Transparenz – zumindest, was kritische Bestandteile betrifft. Das wird Ihnen besonders dann bewusst, wenn sich Ihre RA-Abteilung meldet, die Kolleginnen und Kollegen, die sich mit den Zulassungsanforderungen beschäftigen, und Fragen stellen. Enthält das Produkt Phthalate? Oder SVHC-Substanzen? Was ist mit biologischen Substanzen? Die Liste der Auswahlmöglichkeiten ist hier lang und je nach Produkt unterschiedlich häufig in ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit. Dass einem da nicht alle geläufig sind, ist nur natürlich.

Um Ihnen einen besseren Überblick über die verschiedenen Abfragen relevanter Substanzen zu bieten, widmen wir uns nun also den kleinen Dingen im Leben, genau genommen gehen wir bis auf Partikelebene der Medizinprodukte. Einige der folgenden Begriffe sind seit Jahren gebräuchlich, andere wiederum werden durch die MDR neu eingeführt.

1. Die bisher bekannten Abfragen

SVHC

Der Begriff der „besonders besorgniserregenden Stoffe“ (englisch: Substances of very high concern) wurde mit der Verordnung 1907/2006, besser bekannt als REACH Verordnung, ins Leben gerufen.

Bei diesen Substanzen handelt es sich um chemische Verbindungen, die besonders gefährliche Eigenschaften besitzen. Hierzu werden gemäß Artikel 57 gezählt:

  • CMR-Stoffe: karzinogene (krebserregende), mutagene (erbgutverändernde) und reproduktionstoxische (Fortpflanzungsfähigkeit beeinflussende – auch unter dem Begriff „teratogen“ bekannte) Stoffe

  • PBT-Stoffe: persistente (langlebige), bioakkumulierbare (sich ansammelnde) und toxische (giftige) Stoffe

  • vPvB-Stoffe: sehr persistente (langlebige) und sehr bioakkumulierbare (sich ansammelnde) Stoffe

  • Stoffe, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis in Verdacht stehen, schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt zu haben und ebenso besorgniserregend sind, wie die zuvor aufgeführten Stoffe

Welche Stoffe und Substanzen potenziell dazugehören, wird von der Europäischen Chemikalienagentur veröffentlicht. Die Liste wird zweimal jährlich aktualisiert und findet sich hier.

Die Kandidaten auf dieser Liste werden wiederum einer weiteren Überprüfung unterzogen und können letztlich im Anhang XIV „Verzeichnis der Zulassungspflichtigen Stoffe“ der REACH Verordnung landen. Dies macht die Stoffe dann zu zulassungspflichtigen Stoffen, mit folgenden Pflichten für ihre Lieferanten:

  • Die Bereitstellung eines Sicherheitsdatenblatts

  • Die Aufklärung über die sichere Verwendung

  • Die Reaktion auf Verbraucheranfragen innerhalb von 45 Tagen und

  • Die Notifizierung der ECHA, falls das von ihnen hergestellte Erzeugnis einen besonders besorgniserregenden Stoff in Mengen von mehr als einer Tonne pro Produzent/Importeur pro Jahr enthält und falls der Stoff in den betreffenden Erzeugnissen in einer Konzentration von mehr als 0,1 Massenprozent (w/w) enthalten ist

Und hiermit schließt sich der Kreis für die Anfrage der Zulassungsbehörde oder Ihrer Kunden nach einer sogenannten REACH Erklärung oder SVHC Erklärung. Er möchte gerne von Ihnen bestätigt haben, ob Kandidaten oder tatsächlich zulassungspflichtige Stoffe gemäß der Verordnung in Ihrem Produkt enthalten sind. Erlangen Sie neue Kenntnisse, z. B. durch Ihren Lieferanten, ist es an Ihnen, Ihre Kunden darüber zu informieren. Auch hierzu gibt es Informationen der ECHA.

Im Übrigen gilt dies auch, falls Ihr Produkt zwar keine zulassungspflichtigen Stoffe, aber Stoffe, die einer Beschränkung gemäß Titel VIII der Verordnung unterliegen, enthält. Auch hierzu findet sich die aktuelle Liste auf der Homepage der ECHA.

Phthalate

Phthalate sind eine Untergruppe von Weichmachern, die insbesondere bei der Herstellung von Kunststoffprodukten eingesetzt werden. Sie zählen zur am häufigsten verwendeten Gruppe der Weichmacher, jedoch gibt es bei einigen Phthalaten Bedenken und Belege für gesundheits- und umweltschädliche Eigenschaften. Folgenden Phthalaten werden karzinogene, mutagene und reproduktionstoxische Eigenschaften, wie bereits in der REACH Verordnung beschrieben, zugeschrieben und sind daher auch in dieser gelistet:

  • DEHP = Di(2-ethylhexyl)phthalat

  • DBP = Dibutylphthalat

  • DiBP = Diisobutylphthalat

  • BBP = Benzylbutylphthalat

Darüber hinaus gibt es Beschränkungen für die Verwendung folgender Phthalate in Babyartikeln:

  • DEHP, DBP und BBP sowie Diisononylphthalat (DINP), Diisodecylphthalat (DIDP) und Di-n-octylphthalat (DNOP)

Das Vorhandensein krebserregender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Phthalate wurde 2007 durch die Verordnung 2007/47/EG in der Richtlinie 93/42/EWG als kennzeichnungspflichtig aufgenommen.

  • „Enthalten Teile eines Produkts […]Phthalate, die als krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 1 oder 2 gemäß Anhang I der Richtlinie 67/548/EWG eingestuft sind, so muss auf den Produkten selbst oder auf der Stückpackung oder gegebenenfalls auf der Handelspackung angegeben werden, dass es sich um phthalathaltige Produkte handelt.“

Für die Kennzeichnung der Produkte sollte hier neben der DIN EN ISO 15223-1 die DIN EN 15986 genutzt werden.

Für die Regelungen der Phthalate unter der MDR lohnt sich Artikel 10.4 „Stoff“. Explizit wird hier unter 10.4.3 vorgegeben, dass der durch die Kommission zu beauftragende „einschlägige wissenschaftliche Ausschuss“ bis zum 26. Mai 2020 eine Leitlinie zu Phthalaten vorzulegen hat. Hieraus lässt sich noch nicht der weitere Umgang der EU mit Phthalaten erkennen, eine Lockerung ist jedoch kaum zu erwarten. Daher ist es als Hersteller bereits jetzt empfehlenswert, sich über das Vorhandensein jeglicher Phthalate in den eigenen Produkten bewusst zu sein.

So lässt sich auch die nächste Bescheinigung, ob Ihr Produkt Phthalate enthält oder nicht, ohne große Fragezeichen erstellen.

Biologische Substanzen

Hier wird es den meisten Herstellern leichter fallen, zu entscheiden, ob ihr Produkt eine sogenannte biologische Substanz enthält oder nicht. Denn es handelt sich entweder um „Gewebe tierischen Ursprungs“ oder um „Derivate aus menschlichem Blut“. Da dies ausgefallene Komponenten sind, weiß in der Regel jeder Verantwortliche, ob er betroffen ist oder nicht, trotzdem möchten wir uns auch dieser Bestätigung der Vollständigkeit halber widmen.

Für Medizinprodukte, die unter Verwendung von abgetötetem tierischen Gewebe oder von abgetöteten Erzeugnissen, die aus tierischem Gewebe gewonnen wurden, hergestellt werden, ist Richtlinie 2003/32/EG zu beachten, soweit das Produkt Körperkontakt hat, der über die Berührung unversehrter Haut hinausgeht. Die Richtlinie spezifiziert die Anforderungen an diese spezielle Produktkategorie und kommt somit neben der 93/42/EWG zur Anwendung.

Enthält ein Medizinprodukt Stoffe oder Derivate aus menschlichem Blut (Arzneimitteln oder Bestandteilen aus Blut oder Blutplasma aus menschlichem Blut) im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG, ist neben der benannten Stelle auch die Europäische Arzneimittel-Agentur bei der Zulassung involviert.

Gemäß Abschnitt 6.2 des Anhangs II der MDR zum Aufbau der technischen Dokumentation ist im Falle von Produkten, die „Gewebe oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs oder ihren Derivaten“ verwenden, die entsprechende Information beizulegen. Es darf jedoch auch davon ausgegangen werden, dass manche Behörde (in- oder ausländisch) an dieser Stelle prinzipiell eine Aussage darüber erwartet, ob derartige Stoffe enthalten sind oder nicht.

2. Die durch die MDR neu eingeführten Abfragen

Nanomaterial gemäß MDR

Der Begriff „Nanopartikel“ ist ein seit Jahren häufig zu Werbezwecken verwendeter Sammelbegriff für besonders kleine Partikel, denen teils magische Kräfte angedichtet werden. Die Beweggründe der MDR führen dazu jedoch folgenden Hinweis ins Feld: „Risiken und Nutzen der Verwendung von Nanomaterialien in Produkten sind nicht wissenschaftlich geklärt.“ Daher ist zunächst eine einheitliche Definition gemäß der Empfehlung 2011/696/EU der Kommission einzuführen.

Diese lautet dann in §2 Punkt 18 folgendermaßen:

„Nanomaterial“ bezeichnet ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material, das Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält und bei dem mindestens 50 % der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben. Fullerene, Graphenflocken und einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren mit einem oder mehreren Außenmaßen unter 1 nm gelten ebenfalls als Nanomaterialien.

Die möglichen Zustände, in denen sich Nanomaterial befinden können, werden ebenfalls näher definiert:

  • 19. „Partikel“ im Sinne der Definition von Nanomaterialien in Nummer 18 bezeichnet ein winziges Teilchen einer Substanz mit definierten physikalischen Grenzen;

  • 20. „Agglomerat“ im Sinne der Definition von Nanomaterialien in Nummer 18 bezeichnet eine Ansammlung schwach gebundener Partikel oder Aggregate, in der die resultierende Oberfläche ähnlich der Summe der Oberflächen der einzelnen Komponenten ist;

  • 21. „Aggregat“ im Sinne der Definition von Nanomaterialien in Nummer 18 bezeichnet ein Partikel aus fest gebundenen oder verschmolzenen Partikeln.

Fallen Produkte oder Komponenten unter diese Definitionen, so ist zusätzlich die neue Klassifizierungsregel 19 anzuwenden:

Alle Produkte, die Nanomaterial enthalten oder daraus bestehen, werden wie folgt zugeordnet:

  • der Klasse III, wenn sie ein hohes oder mittleres Potenzial für interne Exposition haben;

  • der Klasse IIb, wenn sie ein niedriges Potenzial für interne Exposition haben, und

  • der Klasse IIa, wenn sie ein unbedeutendes Potenzial für interne Exposition haben.

Und für den Nachweis der Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen ist explizit zu beachten:

Sofern sie nicht nur mit unversehrter Haut in Berührung kommen, werden die Produkte so ausgelegt und hergestellt, dass die Risiken in Verbindung mit der Größe und den Eigenschaften der Partikel, die in den Körper des Patienten oder des Anwenders eindringen oder eindringen können, so weit wie möglich verringert werden. Besondere Aufmerksamkeit ist bei Nanomaterialien geboten.

Derzeit gibt es keinen Usus oder keine Anforderung nach einer separaten Erklärung über das Vorhandensein von Nanomaterialien. Die Praxis wird jedoch zeigen, ob dies in Zukunft üblich oder ggf. in einer gemeinsamen Erklärung rundum die hier adressierten Materialeigenschaften abgedeckt werden wird.

CMR-Stoffe in der MDR

Der aufmerksame Leser wird nun sagen: Das hatten wir doch schon! Nun ja, der Begriff der CMR-Stoffe wurde bereits eingangs im Rahmen der SVHC-Substanzen verwendet und näher erläutert. Im Rahmen der MDR gibt es keine eigene Definition unter § 2, dafür aber in Anhang I eine indirekt verbundene mit folgender grundlegenden Anforderung:

Die Produkte oder die darin enthaltenen Produktbestandteile oder die darin eingesetzten Werkstoffe […] dürfen die folgenden Stoffe nur dann in einer Konzentration von mehr als 0,1 % Massenanteil enthalten, wenn dies gemäß Abschnitt 10.4.2 gerechtfertigt ist:

  • krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe („CMR-Stoffe“) der Kategorie 1A oder 1B gemäß Anhang VI Teil 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (1), oder …

Die genannte Verordnung hatte seinerzeit eine Änderung der REACH Verordnung beinhaltet. Nichtsdestotrotz sollten Hersteller genau prüfen, ob die Summe der CMR-Substanzen in beiden Fällen deckungsgleich ist. Eine gesamtheitliche Betrachtung ist sicherlich ratsam.

Auch die Rechtfertigung nach Anforderung 10.4.2 will sauber ausgearbeitet und im Fall der Fälle verfügbar sein. Eine reine Erklärung über das Vorhandensein ist nicht ausreichend, sondern muss gemäß Anhang II 6.2.d) Teil der technischen Dokumentation sein. Außerdem ist auch ein entsprechender Vorsichtshinweis nach der grundlegenden Anforderung 23.4.s) auf dem Produkt anzugeben, um den Patienten und Anwender über das Vorhandensein zu informieren.

3. Die zukünftigen Abfragen

Einfach am Ball bleiben

Basierend auf der Tatsache, dass alle Definitionen, die die Grundlage für die Erklärungen bzw. Anwendungsbegründungen enthalten, sollten Sie stets am Ball bleiben, ob es für Ihre Produkte relevante Neuerungen gab, sodass bisher noch nicht betroffene Materialien oder Komponenten ggf. in Zukunft dazugehören könnten. Denn die genannten Verordnungen unterliegen dem steten Wandel des technischen Fortschritts und können überarbeitet, ergänzt oder verschärft werden. Im Fall der Nanomaterialien wird beispielsweise der Kommission die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte zur Änderung der Definitionen zu erlassen. Und auch durch die verschiedenen Verordnungen rund um die CMR-Stoffe ist deutlich, dass Änderungen jederzeit eingeführt werden können.

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