Die biologische Beurteilung trägt wesentlich zur Demonstration der Sicherheit eines Medizinproduktes bei. Die Normenreihe EN ISO 10993, welche verschiedene Aspekte der biologischen Beurteilung von Medizinprodukten zum Thema hat, umfasst über 20 Teile und ist relevant für eine große Anzahl von Medizinprodukten.
Die neue Teilnorm -23 im Kontext der EN ISO 10993-Reihe
Die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen der MDR machen eine Bewertung der biologischen Eigenschaften von Medizinprodukten notwendig. Sowohl für Patienten als auch Anwender und Dritte. Hier kommt die Normenreihe EN ISO 10993 ins Spiel, die allgemein Anforderungen an biologische Bewertungen vorgibt. Bei der Umsetzung ist zunächst eine Planung erforderlich. Diese kann dann bereits ergeben, dass Testungen nach einzelnen Normteilen notwendig sind.
An erster Stelle steht hier die chemische Charakterisierung nach EN ISO 10993-18, mit der wir uns bereits näher befasst haben:
Je nachdem, welche Erkenntnisse man aus dieser Prüfung gewinnt, können weitere Prüfungen notwendig sein, um die biologischen Risiken bewerten zu können.
Eine Erkenntnis kann sein, dass die Hautsensibilisierung und Irritation zu prüfen sind. Hierzu wurde bislang (und wird noch) die EN ISO 10993-10:2013 herangezogen. Seit 2020 gibt es jedoch einen Normenentwurf der DIN EN ISO 10993-10, der sich der „Hautsensibilisierung“ widmet. Denn der Aspekt der Prüfung auf „Irritation“ wurde speziell abgespalten und ist im Oktober 2021 als lange erwartete, neue
erschienen. Sie wurde bereits mit dem Durchführungsbeschluss (EU) 2017/745 unter der MDR harmonisiert. Diese Teilnorm soll In-vivo-Testmethoden zur Beurteilung von Hautirritationen reduzieren, verfeinern und ersetzen. Sie beschreibt außerdem Tests mit dem „RhE Modell“.
Das RhE Modell nach EN ISO 10993-23:2021 im Detail
Die formulierten Prüfungen dienen der Vorhersage und Klassifizierung des Reizungspotenzials von Medizinprodukten, Materialien oder deren Extrakten gemäß EN ISO 10993-1. Die Norm und ihre Prüfansätze sind also immer im Kontext der Normenfamilie und anhand einer Prüfplanung unter Berücksichtigung aller Aspekte zu lesen.
Neu eingeführt wird das sogenannte RhE-Modell. Dies steht für „rekonstruierte humane Epidermis“. Dabei kann der RhE-Test den bislang nach EN ISO 10993-10 etablierten In-vivo-Kaninchentest ersetzen, der zur Prüfung auf Hautreizungen bei Exposition und intrakutaner (intradermaler) Verabreichung eingesetzt wird.
Zu den Details der Testung kann uns unsere Fachkollegin Anne Schopfer von den Hohenstein Laboratories mehr sagen:
- Es werden RhE-Modelle eines international etablierten Herstellers von Hautmodellen verwendet
- Sie bestehen aus normalen, menschlichen Keratinozyten (Hautzellen)
- Diese werden auf speziellen Zellkultureinsätzen, sogenannten Inserts, kultiviert und bilden ein mehrschichtiges, hochdifferenziertes Modell der menschlichen Epidermis (Oberhaut)
- das Hautmodell ist der menschlichen Haut sehr ähnlich, so dass es ein nützliches In-vitro-Mittel zur Beurteilung von Hautreizungen darstellt.
- Die Prüfmuster werden mit 0,9%iger Kochsalzlösung (polar) und Sesamöl (unpolar) für 24h bei 37°C extrahiert
- Die Extrakte werden auf die Hautmodelle aufgebracht und für 18h bei 37°C inkubiert.
- Anschließend werden die Hautmodelle gespült, um alle Reste des Prüfmusters zu entfernen.
- Mittels MTT-Test wird die Viabilität (Lebensfähigkeit) im Vergleich zur Negativkontrolle bestimmt.
- Bei einer Zellviabilität von ≤ 50% wird das Prüfmuster als reizende Substanz eingestuft
- Bei einer Zellviabilität von > 50% wird das Prüfmuster als nicht reizende Substanz eingestuft
Wann sich das RhE Modell nicht eignet
Die RhE-Modelle sind jedoch nicht für sämtliche Arten von Irritationstests geeignet.
Im Anhang D sind daher „Special Irritation Tests“ angeführt und beschrieben. Deren Anwendung erfordert jedoch eine Begründung über die Auswahl der Testmethode. Beispiele für diese speziellen Methoden sind Produkte, die im Bereich bestimmter Schleimhäute- oder Augenepithelien zum Einsatz kommen. In diesen Fällen empfiehlt die Norm, die Verwendung anderer In-vitro-Modelle mit relevanten Zellen oder Geweben zu prüfen, wenn diese für die Verwendung mit Medizinprodukten geeignet sind.
Um die Irritation am Auge zu überprüfen, wird im Rahmen der EN ISO 10993-10:2013 noch immer der sogenannte „Kaninchenaugentest“ nach Draize geführt. Dieser Test ist jedoch seit Jahren umstritten. Mit dem HET-CAM Test („Hühnerei-Test“) gemäß DB-ALM Method Sumarry n° 96 bietet Hohenstein Medical eine anerkannte Alternative, die auch von der DAkkS akkreditiert ist.
Stehen Sie vor der Aufgabe, Ihr Medizinprodukt mit Blick auf die harmonisierte Norm EN ISO 10993-23 neu zu bewerten? Alle Kundenanfragen werden von Hohenstein individuell betreut, um die richtige Prüfung und Probenvorbereitung festzulegen und eventuelle Fragen zu klären. Seleon unterstützt Sie gerne im Bereich der konformen Dokumentation in einem Gesamtkonzept. Richten Sie Ihre Fragen daher gerne an uns.
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.