Die Medizintechnik steht an einem Wendepunkt. Die Branche, die jahrzehntelang auf Kunststoffe als unverzichtbaren Bestandteil ihrer Produkte setzte, sieht sich nun einer der größten Herausforderungen der modernen Industrie gegenüber: Wie lässt sich der Einsatz von Kunststoffen nachhaltig gestalten, ohne dabei die Sicherheit der Patienten oder die Qualität der Produkte zu gefährden? Diese Frage wird nicht nur die Branche prägen, sondern auch die Art und Weise, wie Medizinprodukte zukünftig entwickelt und eingesetzt werden.
Doch die gute Nachricht: Der Weg zu einer nachhaltigeren Medizintechnik ist keineswegs unmöglich – aber er erfordert eine entschlossene Anpassung an neue regulatorische Vorgaben, eine tiefgehende Innovationskraft und nicht zuletzt einen mutigen Blick auf die Zukunft. Seleon hat ein Framework entwickelt, das ganzheitlich aufzeigt, wie nachhaltige Entwicklung in der Medizintechnik praktisch gelingen kann.
Neue Herausforderungen, neue Chancen – mit einem erweiterten Compliance Prozess
Es ist kein Geheimnis mehr: Die Regulierungen werden immer zahlreicher, und ihre Komplexität nimmt zu. Die PPWR ist dafür ein bestes Beispiel. Besonders die Stoffregulierungen werfen Fragen auf, die über das bloße „Dürfen wir diesen Stoff verwenden?“ hinausgehen. Es geht heute vielmehr darum, wie und in welchem Kontext ein Material eingesetzt werden kann, ohne gegen die immer strenger werdenden Vorschriften zu verstoßen. Die Material-Compliance ist längst keine freiwillige Zusatzleistung mehr – sie ist zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden.
Doch es reicht nicht aus, lediglich auf die regulatorischen Anforderungen zu reagieren. Unternehmen müssen zunehmend auch die Kundenanforderungen im Blick behalten. Laut einer Studie von Vamstar ist der Einfluss von ESG-Kriterien auf Ausschreibungen inzwischen unübersehbar. Umweltfreundliche Verpackungen, CO₂-neutrale Produktion und recycelbare Materialien sind nicht mehr „nice to have“, sondern „must haves“ in den Augen vieler Käufer. Die Auswirkungen dieser neuen Anforderungen sind gravierend: In Ländern wie Frankreich oder Spanien können bis zu 10 % der Ausschreibungsbewertung auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte entfallen. In den nordischen Ländern liegt dieser Anteil sogar bei bis zu 30 %. Ein klarer Weckruf für alle Unternehmen, die sich nicht nur als Zulieferer, sondern als Pioniere einer grünen Zukunft positionieren wollen.
Die wachsenden Anforderungen erfordern eine Erweiterung des Compliance Prozesses, um Auswirkungen neuer Anforderungen zu tracken und das Tender Management zu verbessern. Kommunikationskanäle zwischen den Bereichen Einkauf wie auch regulatorische Angelegenheiten und der Produktentwicklung müssen integriert werden, um kundenspezifische und rechtmäßige Produkte zu gewährleisten.
Die Kosten der Veränderung: Wo lässt sich sparen, wo investieren?
Doch wie können Unternehmen diesen Wandel erfolgreich gestalten, ohne ihre wirtschaftliche Stabilität zu gefährden? Der Schlüssel liegt in der richtigen Kalkulation. Anpassungen, die ein Produkt nachhaltiger machen, kosten Geld – das ist unbestreitbar. Doch genau hier setzt das neue Framework an. Denn die langfristigen Investitionen in nachhaltige Lösungen müssen nicht nur als Kostenfaktor, sondern als Wertschöpfung begriffen werden.
Auch die weniger offensichtlichen, aber nicht minder wichtigen Faktoren müssen berücksichtigt werden: Wie viel verlieren Unternehmen bereits durch die neuen ESG-Beschaffungskriterien, wenn sie nicht rechtzeitig auf nachhaltige Lösungen setzen? Welche Einsparpotenziale durch Müllreduktion, Materialreduktion und Energieeinsparungen bieten sich an? Und nicht zu vergessen: Wie wirken sich die erweiterten Herstellerpflichten auf die Gesamtkosten aus?
Unternehmen müssen heute nicht nur in ihrem eigenen Haus kalkulieren, sondern auch den breiten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext in Betracht ziehen. Ein ESG-Score kann etwa den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten beeinflussen und damit zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden. Das Framework von seleon schlägt einen neuen Prozess vor, der alle diese Aspekte berücksichtigt – und damit als wertvolle Grundlage für strategische Entscheidungen dient.
Die Produktauswirkung: Wo setzt man an?
Doch wo genau muss man ansetzen, um eine nachhaltige Produktentwicklung zu ermöglichen? Eine wichtige Methode, die dabei hilft, die Umweltauswirkungen eines Produkts zu bewerten, ist das Life Cycle Assessment (LCA). Mit einer LCA lassen sich die wirkungsvollsten Hebel in der nachhaltigen Produktentwicklung ausmachen – und gleichzeitig können benötigte Kundeninformationen bereitgestellt werden.
Wichtig ist hierbei ein Standard für die Medizintechnik, der die Inhalte der ISO 14040 Umweltmanagement – Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen und ISO 14044 Umweltmanagement – Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen spezifiziert, sodass die Informationen zur Produktauswirkung zwischen verschiedenen Herstellern vergleichbar sind und zur Kundenkommunikation genutzt werden können.
Produktanforderungen definieren: Der ESG-Anforderungsworkshop
Ein wichtiger Schritt in der frühen Entwicklungsphase ist die Implementierung eines ESG-Anforderungsworkshops. In diesem Workshop werden alle gesammelten Informationen gebündelt und in konkrete Produktanforderungen übersetzt. Durch die vorherige Wertrechnung können entsprechende Maßnahmen argumentiert werden.
Dieser Prozess ermöglicht es, unter anderem die Materialanforderungen neu zu denken und dabei auch das Potential der Eco-Design-Prinzipien zu nutzen. Viele der heute verwendeten Materialanforderungen sind Relikte aus der Vergangenheit und können durch eine Analyse der Anforderungen eingegrenzt werden. Hier gilt es, den Blick neu zu schärfen und von vorn zu denken.
Best Practices: Vom Leuchtturmprojekt zur systematischen Anwendung
Erfolgreiche Projekte und Innovationen sollten als Leuchtturmprojekte genutzt werden, um eine Best-Practice-Datenbank aufzubauen. Diese Datenbank kann als wertvolle Ressource dienen, um Erfahrungen mit nachhaltigen Lösungen zu sammeln und weiterzugeben. Die Anwendung von Eco-Design-Prinzipien sollte nicht nur gefordert, sondern auch aktiv geschult werden.
In der Entwicklung selbst wird oft auf konventionelle Materialien zurückgegriffen, weil die Implementierung neuer Materialien als zu aufwendig erscheint. Durch eine systematische Gesamtkostenrechnung, die die Vorteile neuer Materialien gegen die initialen Kosten abwägt, können Unternehmen die Vorteile neuer Ansätze besser nutzen. Eine Datenbank mit alternativen Materialien kann dabei helfen, eine fundierte Gesamtkostenrechnung zu unterstützen und die Anforderungen aus dem erweiterten Compliance-Prozess zu verknüpfen. So wird der Übergang zu nachhaltigen Lösungen greifbar und praktikabel.
Mit diesem Framework wird die nachhaltige Medizinproduktentwicklung nicht nur theoretisch greifbar, sondern praktisch umsetzbar. Es fordert von der Branche nicht nur die Anpassung an neue Regulierungen, sondern auch eine umfassende Neuausrichtung – weg von traditionellen Denkmustern hin zu einer zukunftsorientierten Medizinprodukteentwicklung.
seleon unterstützt Sie bei dieser Aufgabe, indem wir Ihre Compliance aufbauen, Tender Management betreiben, Wertrechnungen durchführen, Ihren Entwicklungsprozess zukunftsfähig ausbauen und Ihr Team bei Projekten Hands-On unterstützen.
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.