Verordnung 2024/1860 – ein Überblick
Am 09. Juli 2024 wurde die Verordnung (EU) 2024/1860 veröffentlicht, die wesentliche Änderungen der Verordnungen (EU) 2017/745 MDR und (EU) 2017/746 IVDR einführt. Die Anpassungen konzentrieren sich auf drei zentrale Bereiche:
- Die schrittweise Einführung der EUDAMED
- Die Verpflichtung von Herstellern und Wirtschaftsakteuren, Lieferkettenengpässe oder Einschränkungen in der Produktverfügbarkeit zu melden, und
- Übergangsbestimmungen für einige spezifische In-vitro Diagnostika
Im weiteren Verlauf dieses Artikels liegt der Fokus auf der neuen Meldepflicht für Hersteller im Falle von Unterbrechung oder Einstellung der Versorgung. Dabei werden wir auf die wesentlichen Anforderungen und spezifischen Aspekte eingehen, die bei der Umsetzung zu beachten sind. Der neue Artikel 10a(e) ist noch nicht in der MDR/IVDR ersichtlich, tritt jedoch bereits zum 10. Januar 2025 in Kraft.
Artikel 10a – Meldepflicht von Unterbrechung oder Einstellung der Versorgung.
Der zentrale Teil der Verordnung (EU) 2024/1860 liegt im künftigen Artikel 10a(e) der MDR / IVDR, welcher die Pflichten der Hersteller bei Unterbrechung oder Beendigung der Versorgung mit bestimmten Medizinprodukten beschreibt.
Plant ein Hersteller die Lieferung eines Medizinproduktes, das keine Sonderanfertigung ist, zu unterbrechen oder einzustellen, und besteht das Risiko eines erheblichen Schadens für Patienten oder die öffentliche Gesundheit, ist eine Meldung verpflichtend.
Der Hersteller muss die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem er oder sein Bevollmächtigter ansässig ist, informieren. Zudem sind betroffene Wirtschaftsakteure, Gesundheitseinrichtungen und Angehörige der Gesundheitsberufe, die das Produkt direkt beziehen, rechtzeitig über die geplante Maßnahme zu unterrichten. Diese Verpflichtung dient der frühzeitigen Prävention potenzieller Versorgungsengpässe oder Risiken für die öffentliche Gesundheit.
Die genannten Informationen müssen, bis auf außergewöhnliche Fälle, mindestens 6 Monate vor der geplanten Lieferunterbrechung übermittelt werden. Dabei hat der Hersteller der zuständigen Behörde die Gründe für die Unterbrechung oder Einstellung in den bereitgestellten Informationen mitzuteilen.
Für welche Medizinprodukte gilt die Regelung?
Die Vorgaben des Artikels sind für sämtliche Modelle und Arten von Produkten relevant, die in der EU in Verkehr gebracht werden. Im Detail bedeutet dies:
- Bewertung durch den Hersteller: Der Hersteller ist verpflichtet, zu prüfen, ob eine Unterbrechung oder Einstellung der Versorgung seines Produkts voraussichtlich ernsthafte Schäden oder eine erhebliche Gefährdung für den Patienten oder die öffentliche Gesundheit verursachen könnte. Diese Einschätzung muss auf einer realistischen und nachvollziehbaren Basis erfolgen.
- Geltung auch für Legacy Devices: Die Regelung umfasst ausdrücklich auch sogenannte Legacy Devices gemäß Artikel 120 (3a) und (3b) der MDR und Artikel 110 (3a) und (3b) der IVDR.
Zuständigkeiten, Abläufe und Anforderungen: Was Hersteller nun beachten müssen
Was ist konkret geregelt?
Ab dem 10. Januar 2025 treten die neuen Anforderungen zur Meldung von Lieferunterbrechungen und -einstellungen in Kraft und müssen umgesetzt werden. Die Europäische Kommission hat hierzu ein Q&A-Guidance-Dokument erstellt, um die ersten dringenden offenen Fragen zu klären. Dabei gelten folgende Regelungen:
- Meldungen vor dem Stichtag: Lieferunterbrechungen oder -einstellungen, die der Hersteller bereits vor dem 10. Januar 2025 erwartet, müssen nicht gemeldet werden – selbst, wenn die Unterbrechung erst nach diesem Datum eintritt.
- Informationen der Anwender: Hersteller werden dennoch dazu aufgefordert, Anwender ihrer Produkte über bevorstehende Lieferunterbrechungen oder -ausfälle zu informieren.
- Verantwortlichkeit des Herstellers: Die Verantwortung zur Erfüllung dieser Informationspflicht bleibt beim Hersteller und kann nicht delegiert werden. Unterstützung durch Bevollmächtigte, Wirtschaftsakteure oder Dritte ist jedoch zulässig, um die operativen Aufgaben in diesem Zusammenhang umzusetzen.
- Weitergabe in der Lieferkette: Alle Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, die vom Hersteller bereitgestellten Informationen unverändert entlang der Lieferkette bis hin zu den Anwendern weiterzuleiten.
Mit diesen Regelungen wird darauf abgezielt, die Transparenz in der Lieferkette zu verbessern und potenzielle Versorgungsengpässe frühzeitig zu erkennen.
Wer erhält Meldungen?
Der Hersteller muss folgende Instanzen informieren:
- Wirtschaftsakteure, Gesundheitseinrichtungen und Angehörige der Gesundheitsberufe an die das Produkt direkt geliefert wird
- Die zuständige Behörde des Mitgliedstaates, in dem der Hersteller oder sein Bevollmächtigter niedergelassen ist
Für die Meldung an die zuständige Behörde gibt es seit dem 6. Dezember ein „Manufacturer Information Form“, welches die Informationen vorgibt, die bei der Einreichung notwendig sind: MDCG 2024-16 Form on Interruption of Discontinuation of Supply of certain medical devices and certain in vitro diagnostic medical devices
Wann wird gemeldet?
Der Zeitpunkt der Meldung spielt eine entscheidende Rolle. Hersteller sind verpflichtet, potenzielle Versorgungsengpässe, insbesondere geplante Unterbrechungen, mindestens 6 Monate im Voraus zu melden. Wo möglich, wird von Seiten der Benannten Stellen jedoch eine frühere Benachrichtigung empfohlen, um ausreichend Zeit für Gegenmaßnahmen einzuräumen.
Im Falle von außergewöhnlichen Umständen („exceptional circumstances“), etwa bei unerwarteten Unterbrechungen oder Einstellung der Versorgung von Rohstoffen, bei Naturkatastrophen oder plötzlichen wirtschaftlichen Herausforderungen, kann eine kurzfristige Meldung akzeptiert werden. Diese muss jedoch unverzüglich erfolgen, um die Auswirkungen auf die Versorgung so gering wie möglich zu halten.
Was ist inhaltlich wichtig?
Darüber hinaus müssen Hersteller die relevanten Begrifflichkeiten genau kennen, um den richtigen Zeitpunkt für notwendige Maßnahmen und Meldungen sicher bestimmen zu können. Dazu gehören die folgenden:
- „Anticipation“ (Antizipation): Dies bezeichnet die Bestätigung/Information durch den Hersteller über eine bevorstehende Unterbrechung oder Einstellung von Produktlieferungen. Es umfasst:
- die Analyse des vorliegenden Problems/der Geschäftsentscheidung
- die Bewertung von Maßnahmen zur Risikominderung
- die Entwicklung geeigneter Kommunikationsstrategien für die betroffenen Interessensgruppen.
Das Konzept der „anticipation“ bezieht sich auf die eigenen Produkte und nicht auf die Produkte anderer Hersteller, berücksichtigt jedoch deren Marktanteil und potenzielle Auswirkungen auf die Versorgungssituation.
- „Interruption of supply“ (Lieferunterbrechung): Der Hersteller informiert, dass er ein Produkt für ca. 60 Tage nicht wie beabsichtigt oder geplant liefern kann. Hält der Hersteller es jedoch für möglich, dass eine Unterbrechung von weniger als 60 Tagen ebenfalls zu einer schwerwiegenden Schädigung oder einem Risiko einer schwerwiegenden Schädigung von Patienten oder der öffentlichen Gesundheit führen kann, ist er gleichermaßen verpflichtet, diese zu melden.
- „Discontinuation of supply“ (Einstellung der Lieferung): Der Hersteller informiert, dass ein Produkt, ein Produktmodell oder eine Art von Produkt nicht mehr vertrieben wird und somit nicht mehr auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht wird.
Es ist entscheidend, eindeutig zu definieren, was als „Unterbrechung oder Abbruch, der zu einem schwerwiegenden Schaden oder einem schwerwiegenden Schaden oder einem Risiko für die Patienten oder die öffentliche Gesundheit führen kann“ gilt. Ein Beispiel hierfür ist, wenn eine bestimmte Diagnosemethode oder Patiententherapie in einem oder mehreren Mitgliedstaaten nicht verfügbar ist, was gravierende Schäden oder Risiken schweren Schadens für Patienten oder die öffentliche Gesundheit zur Folge haben kann.
Zu den Fällen, in denen die „Nichtverfügbarkeit“ zu einem „ernsten Schaden oder der Gefahr eines solchen Schadens“ führen kann, gehören Fälle, in denen Patienten
- ein unmittelbares Todesrisiko
- eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder
- ein lebensbedrohlicher Zustand
droht und für die keine geeignete alternative Diagnosemethode oder Therapie verfügbar ist.
Pflichten anderer Wirtschaftsakteure
Nicht nur die Hersteller müssen aktiv sein und die Informationen über Unterbrechung oder Einstellung der Versorgung an die vorhergesehenen Empfänger verbreiten. Wirtschaftsakteure, die die Informationen gemäß Absatz 1 des Artikels 10a entweder direkt vom Hersteller oder von einem anderen Akteur in der Lieferkette erhalten haben, sind verpflichtet, unverzüglich alle weiteren Wirtschaftsakteure, Gesundheitseinrichtungen und Angehörigen der Gesundheitsberufe, an die sie das Produkt direkt liefern, über die geplante Unterbrechung oder Einstellung der Lieferung zu informieren.
So wird sichergestellt, dass die Information über eine Versorgungsunterbrechung entlang der gesamten Lieferkette weitergegeben werden und einzelne Wirtschaftsakteure die Information wieder an alle nachgelagerte Wirtschaftsakteure der Lieferkette weiterleiten. Dies muss „ohne unangemessene Verzögerung“ geschehen, was bedeutet, dass die Weiterleitung schnellstmöglich erfolgen muss, ohne absichtliche oder fahrlässige Verzögerungen. Ziel ist somit eine zügige Informationsweitergabe, damit nachgelagerte Akteure rechtzeitig reagieren und Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ergreifen können.
Darüber hinaus verpflichtet Artikel 25 MDR/IVDR Wirtschaftsakteure zur Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit entlang der Lieferkette. Sie müssen ihre direkten Lieferanten sowie die Akteure und Einrichtungen, an die sie Produkte geliefert haben, identifizieren können.
Vorbereitungen, die man als Hersteller treffen kann
Nun stellt sich die Frage, was man als Hersteller konkret in Vorbereitung auf die Umsetzung des Artikels 10a tun kann.
Um der Meldepflicht korrekt nachzukommen ist es wichtig, intern festzulegen, wie die Bewertung einer möglichen Meldung festgestellt wird. Darüber hinaus liegt es auch in der Verantwortlichkeit des Herstellers zu evaluieren, ob die Unterbrechung oder Einstellung der Versorgung mit dem betroffenen Produkt zu einer ernsthaften Schädigung der Patienten oder der öffentlichen Gesundheit führen kann. Dazu können folgende Kriterien angewandt werden:
- Das Potenzial für eine schwerwiegende Schädigung der Patienten der gesamten Bevölkerungsgruppe sollte bestimmt und betrachtet werden. Eine Beurteilung auf Grundlage eines einzelnen Patienten sollte vermieden werden.
- Bewertung auf Basis von Informationen, die sich auf die Kenntnis des Herstellers über sein eigenes Produktangebot beschränken.
- Der Hersteller kann Informationen von weiteren Angehörigen des Gesundheitswesens einholen, um die Auswirkung einer Unterbrechung der Versorgung auf die Sicherheit und Gesundheit des Patienten zu beurteilen.
Bei der Feststellung, ob eine voraussichtliche Lieferunterbrechung oder -einstellung zu einer schwerwiegenden Schädigung der Patienten oder der öffentlichen Gesundheit führen kann, können folgende Faktoren herangezogen werden:
- Die Bedeutung des Geräts für die Sicherstellung wesentlicher Gesundheitsdienstleistungen (Dient die Zweckbestimmung des Produkts für lebenserhaltende Maßnahmen?)
- Alternative Lösungen (Können gleichwertige Nachfolgeprodukte oder andere Alternativen bereitgestellt werden?)
- Andere Faktoren, wie objektive Gründe, ob die Unterbrechung oder Liefereinstellung eines bestimmten Produktes oder eine Produktreihe zu erwarten ist; die bereits verfügbare Menge an Produkten und Bestände, Fristen für die Beschaffung von Alternativen für diese Produkte, Abhilfemaßnahmen zur Verhinderung der Unterbrechung
In jedem Fall muss der Hersteller einen internen Prozess im QMS implementieren und dabei genannte Kriterien berücksichtigen, damit die notwendige Beurteilung der möglichen Unterbrechung oder Einstellung der Versorgung richtig bewertet und dann weitere Schritte umgesetzt werden können. Diese Vorgehensweise sollte dem risikobasierten Ansatz folgen.
Betroffenen Prozesse wären alle Voraussicht nach also:
Wenn Sie bei der Umsetzung des neuen Artikels 10a zur Meldepflicht bei Unterbrechung oder Einstellung der Versorgung Unterstützung benötigen, zögern Sie nicht uns anzusprechen – wir sind gerne für Sie ohne Verzögerung verfügbar und werden mit Ihnen zusammen eine schlanke und für Sie passende Lösung umsetzen. Hierbei können unterschiedliche Dienstleistungen, wie Workshops für Wissensaufbau aber auch Prozessanpassung bzgl. des Supplier Managements, Meldesystems und Risikomanagements in Verbindung mit der entsprechenden Risikobetrachtungen angeboten werden
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.