Beim Blick in viele QM-Handbücher der MedTech Branche fällt eines immer wieder auf: Der Prozess für das Lenken von Änderungen ist zwar existent, wird aber wie ein fünftes Rad am Wagen gesehen. Überflüssig, kompliziert und ein Hindernis für den schnellen Marktzugang. Doch ist das wirklich so? Mit einem durchdachtem und gelebtem Änderungsmanagement schaffen Sie vor allem eins: konsequent konforme Produkte, die im Nachgang nicht für böse Überraschungen sorgen.
Diese Vorgaben gibt es für das Änderungsmanagement zu beachten
Häufig kommt die Frage auf, wo die Anforderungen an ein Änderungsmanagement denn überhaupt beschrieben seien. Die Antwort lautet: an verschiedenen Stellen und die Auslegung ist natürlich immer wieder vom jeweiligen Hersteller abhängig. Grundsätzlich gibt es Vorgaben für Änderungen sowohl an Produkten als auch an Prozessen.
Am geläufigsten und besten etabliert sind die Änderungen an Produkten, die in der Regel im Bereich der Entwicklung angesiedelt sind. Diese Vorgabe kommt zunächst einmal aus DIN EN ISO 13485:2021“
- 7.3.9 Lenkung von Entwicklungsänderungen“
Doch darüber hinaus gilt es nach DIN EN ISO 13485:2021 auch, Änderungen an Prozessen zu bewerten. Dies wird in verschiedenen Kapiteln der Norm beschrieben:
- 4.1 Allgemeine Anforderungen, Abschnitt 4.1.4 im Besonderen
- 4.2.4 Lenkung von Dokumenten
- 5.4.2 Planung des Qualitätsmanagementsystems
- 5.6 Managementbewertung
- 7.2.2 Bewertung der Anforderungen bezüglich des Produkts
- 7.2.3 Kommunikation
- 7.4.2 Beschaffungsangaben
- 7.4.3 Verifizierung von beschafften Produkten
- 7.5.6 Validierung der Prozesse zur Produktion und zur Dienstleistungserbringung
Und nicht zu vergessen, Änderungen, die im Rahmen des Qualitätsmanagements erforderlich werden nach Kapitel
- 8.5.2 Korrekturmaßnahmen
- 8.5.3 Vorbeugemaßnahmen
„erforderliche Planungs- und Dokumentationsmaßnahmen sowie Implementierung derartiger Maßnahmen, einschließlich, soweit angemessen, der Aktualisierung der Dokumentation;“
Im Rahmen der MDR bzw. IVDR wird das Änderungsmanagement an zwei Stellen aufgerufen. Die erste, recht allgemein gehaltene Forderung findet sich im Artikel 10 bei den Herstellerpflichten:
- Das Qualitätsmanagementsystem umfasst mindestens folgende Aspekte:
ein Konzept zur Einhaltung der Regulierungsvorschriften, was die Einhaltung der Konformitätsbewertungsverfahren und der Verfahren für das Management von Änderungen an den von dem System erfassten Produkten mit einschließt;
Den meisten Herstellern sind jedoch die in Anhang VII beschriebenen Anforderungen, die der benannten Stelle als Prüfkriterium auferlegt werden, nicht geläufig. Sie sind gefordert, die korrekte Implementierung bei den Herstellern nach folgenden Kriterien zu prüfen:
- 4.9. Änderungen und Modifikationen
Die Benannte Stelle verfügt über dokumentierte Verfahren und vertragliche Vereinbarungen mit Herstellern bezüglich der Informationspflichten der Hersteller und der Bewertung von Änderungen an
- dem (den) genehmigten Qualitätsmanagementsystem(en) oder der hiervon erfassten Produktpalette,
- der genehmigten Auslegung eines Produkts,
[…]
Im Einklang mit ihren dokumentierten Verfahren hat die betreffende Benannte Stelle folgende Aufgaben:
- Sie gewährleistet, dass die Hersteller Pläne für Änderungen gemäß Absatz 1 und einschlägige Informationen bezüglich solcher Änderungen zur vorherigen Genehmigung vorlegen,
[…]
Wer noch weitere Anhaltspunkte sucht, sollte sich den Anforderungen an die Vergabe eines neuen UDI widmen
Außerdem geben die MDCG Leitfäden
- MDCG 2020-3 Guidance on significant changes regarding the transitional provision under Article 120 of the MDR with regard to devices covered by certificates according to MDD or AIMDD
- MDCG 2022-6 Guidance on significant changes regarding the transitional provision under Article 110(3) of the IVDR
wichtige Anhaltspunkte. Diesen widmen wir uns im weiteren Verlauf dieses Artikels, zunächst seien sie hier der Vollständigkeit halber erwähnt.
Minor Change, major Change, non-significant oder significant?
Änderungen werden in der Regel in zwei „Klassen“ unterteilt:
- Änderungen, die nur einen geringfügigen Einfluss auf das Produkt oder die Prozesse haben à meist als „minor“ oder „non-significant“ bezeichnet
- Änderungen, die einen starken Einfluss auf das Produkt oder die Prozesse haben à meist als „major“ oder „significant“ bezeichnet
Warum ist diese Einstufung von Bedeutung? Weil major / significant changes in der Regel vorab von den jeweiligen Behörden bzw. benannten Stellen genehmigt werden müssen, verzögern sie den Marktzugang des geänderten Produktes / des von der Änderung des Prozesses betroffenen Produktes. Daher neigen viele Hersteller dazu Änderungen gerne klein zu dokumentieren. Minor/non-significant changes erfordern meist nur eine Dokumentation innerhalb des QM Systems und ggf. eine allgemeine Meldung ohne Vorabgenehmigung, z.B. während des Audits.
Für Europa gibt es bislang kein direkt unter der MDR/IVDR veröffentlichtes Guidance Dokument, das zur Einstufung herangezogen werden kann. Jedoch gibt es Leitfäden, auf die man die Entscheidungsfindung aufbauen kann. Zum einen kann man hierbei auf die bereits erwähnten MDCG Guidances zur Einstufung von zulässigen Änderungen im Rahmen der Übergangsfristen von MDD/IVDD auf MDR/IVDR heranziehen, um auch grundsätzlich eine Änderung einzustufen. Fällt sie gemäß MDCG 2020-3/2022-6 in den Bereich, dass das Produkt / der Prozess nach Änderung nicht mehr von der Übergangsfrist profitieren würde, sondern eine neue Konformität erklärt werden müsste, so wäre die Änderung auch für reine MDR/IVDR Produkte als „major“ / „significant“ einzustufen. Würde die Änderung weiterhin von der Übergangsfrist profitieren, so lässt sich eine Einstufung als „minor“ / „non-significant“ gut begründen. Aber Achtung, es gibt einen Disclaimer der MDCG:
In diesem Leitfaden wird nicht näher auf das Verfahren für die Einreichung von Änderungen am genehmigten Design durch die Hersteller und die Bewertung durch die benannten Stellen sowie auf wesentliche Änderungen am genehmigten Qualitätssicherungssystem oder an der erfassten Produktpalette eingegangen.
Wem diese Leitfäden also noch zu wenig Potential für die Einstufung bieten, sei der bereits unter MDD, AIMD und IVDD veröffentlichte Leitfaden
ans Herz gelegt, der seinerzeit auch von der ZLG als EK Med 3.9 B31 eins zu eins übernommen wurde. Auf ihn beziehen sich auch die bereits erläuterten MDCG Leitfäden zur Einstufung von Änderungen während der Übergangsfristen.
Außerhalb Europas gibt es klare Leitfäden für die Entscheidungsfindung, auf die sich für die jeweiligen Zielländer zurückgreifen lässt. Einige Beispiele wären:
- Saudi Arabien: MDS – G012 Guidance on MDMA – Significant and Non-Significant Changes
- FDA: Deciding When to Submit a 510(k) for a Change to an Existing Device
- Kanada: Guidance for the Interpretation of Significant Change of a Medical Device
Das wichtige mit Blick auf Europa: Legen Sie Kriterien fest, nach denen Sie die Einstufung vornehmen (z.B. gemäß des MDCG Leitfadens), stellen diese im Audit vor und handeln im Anschluss konsequent danach.
MDCG 2020-3 nach Revision 1 – die Änderungen im Detail
Der MDCG Leitfaden 20203-3 „Guidance on significant changes regarding the transitional provision under Article 120 of the MDR with regard to devices covered by certificates according to MDD or AIMDD “ wurde erstmals im März 2020 publiziert. Seit Mai 2023 ist die Revision 1 abrufbar. Sie bezieht sich auf Artikel 120 (3c), Punkt (b) der MDR. Doch welche Änderungen gab es konkret zwischen den beiden Revisionen? Nun, der Blick lohnt sich und hält einige Überraschungen parat.
Zunächst findet sich nun eine Erläuterung, was genau ein Legacy Device ist und welche Übergangsfristen auf Grund von Regulation (EU) 2023/607 gelten, im einleitenden Kapitel 1.
In Kapitel 4 wird die Beschreibung „signifikant nach MDR Article 120(3c)“ ausführlich erläutert, es finden sich Informationen darüber, welche Arten von Änderungen am Design und/oder der Zweckbestimmung mit Blick auf die Übergangsfristen als signifikant oder nicht-signifikant gelten – teils auch mit überraschenden Erkenntnissen. Gerade diese doch überraschenden Erkenntnisse sollten als Anlass genommen werden, mit dem Notified Body erneut Rücksprache zu halten, wenn der Leitfaden grundsätzlich als Entscheidungshilfe für „minor“ und „major“ Einstufungen herangezogen werden soll. Grundsätzlich gilt, selbst wenn eine Änderung zunächst als nicht-signifikant eingestuft wurde, sollte sie nochmals abschließend geprüft werden, da es immer Aspekte geben könnte, die sich noch im Verlauf der Änderung als relevant herausstellen.
In den Charts selber gab es folgende Änderungen:
- Main Chart: leichte Änderungen in der Reihenfolge, Ergänzung von Feinheiten, z.B. dass bei Änderungen an der Verpackung oder der Sterilisationsmethode auch ein möglicher Einfluss auf das Shelf Life zu bewerten ist
- Chart A: Intended Purpose. Grundsätzlich ist das Chart gleichgeblieben. Der Eintrag in Kasten A4 wurde umformuliert von „Change of clinical use“ zu „New way of clinical application”.
- Chart B: Befasst sich nur noch mit „Change of Design“ und nicht mehr mit den „Performance Specifications“. Entsprechend kürzer ist das Chart und es gibt einen Fokus auf Änderungen an integrierten Kontrollmechanismen, dem Funktionsprinzip, der Energiequelle oder den Alarmsystemen.
- Chart C Software. Das Chart ist größtenteils gleich geblieben. Die Punkte aus C4 und C5 wurde unter C4 gebündelt und befassen sich mit neuen Schnittstellen, neuen Arten der Datenaufbereitung oder zusätzlichen medizinischen Features
- Chart D: Substanzen und Materialien. In diesem Chart wurden die Einträge aus den Kästen D3 und D4 geändert. Der Fokus wird auf chirurgisch invasive Produkte mit Kontakt über 30 Tagen gelegt.
- Chart E: Sterilisation. Das Chart ist nur geringfügig verändert. Hauptsächlich wurden einige Beispiele in die Textabschnitte von Kapitel 4 übertragen.
Das Fazit zur Revision 1 lautet: insbesondere die Ausführungen und die Beispiele aus Kapitel 4 sollten gelesen werden. Es empfiehlt sich nicht direkt zu den Entscheidungsbäumen zu hasten und nur diese zu lesen. Das Dokument muss gesamthaft gelesen und verstanden werden. Die abschließende Frage für die Einstufungen von Änderungen in „minor“ oder „major“ bleibt stets: Hat die Änderung einen Einfluss auf die Sicherheit und Leistung des Produkts? Und bleibt das Nutzen-Risiko-Verhältnis bestehen oder wird es negativ beeinflusst?
Quellen für Änderungen
Wie eingangs erwähnt, wird die Notwendigkeit von Änderungsmanagement und Änderungsanträgen häufig nur bei signifikanten Änderungen an Produkten erkannt. Doch Änderungsmanagement ist für weitaus mehr Fälle relevant und bildet einen wichtigen Baustein um die Produkte, Produktakten, internen Prozesse und Nachweise für die Stabilität der Prozesse zu gewährleisten.
Dabei gibt es viele potenzielle Quellen für Änderungen, zu diesen zählen zum Beispiel:
- Regulatorische Anforderungen– neue & geänderte Normen, Gesetze, Leitfäden
- Einkauf – Änderungen an Spezifikationen, Materialien, Lieferquellen
- Verkauf – neue oder veränderte User Needs und Marktanforderungen
- Management Review – Erkenntnisse aus dem internen Management Review
- Produktion – Verbesserungspotential oder notwendige Parameteranpassungen
- Nicht Konformitäten und CAPAs
- Post-Market Surveillance Aktivitäten
- Und potentiell jeder Prozess im QM-System, der einen Einfluss auf die Qualität und Leistung der Produkte haben könnte
Häufig wird unterschätzt, welchen Einfluss eine kleine Veränderung in einem normativ geforderten Grenzwert, einem eingestellten Parameter an der Maschine oder einer veränderten Produktabmessung mit sich bringen kann.
Im Zweifelsfall: die Notwendigkeit die Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen für die von den Änderungen erfassten Produkte zu bewerten und eine neue Konformitätserklärung auszustellen.
Daher ist es wichtig, alle Mitarbeiter im Unternehmen für das Thema Änderungsmanagement zu sensibilisieren und durch einen schlanken Prozess für diesen zu gewinnen.
Bild: Änderungen kommen aus vielen Ecken und beeinflussen auch viel Bereiche des Medizinprodukteherstellers.
Was gibt es zu beachten, wenn Änderungen umgesetzt werden
Grundsätzlich gilt es immer, eine Änderung ganzheitlich zu betrachten. Dies sollte nicht durch einen einzelnen Mitarbeiter erfolgen, sondern durch ein interdisziplinäres Team, dass die Änderung aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Dabei können relevante Aspekte zum Beispiel die folgenden sein:
- Wird durch die Änderung des Prozesses nicht auch die Sicherheit und Leistung einiger Produkte erfasst?
- Und muss ich dann nicht auch deren Technische Dokumentation aktualisieren?
- Benötige ich auf Grund meiner Änderung eine neue UDI-DI, da sich mein Produktmodell deutlich vom Vorgänger unterscheidet?
- Habe ich wirklich alle Länder, in die ich meine Produkte ausliefere, mit bedacht?
- Wie gehe ich mit Restbeständen um und ab wann wird meine Änderung überhaupt gültig?
- Ist meine bisherige Konformitätserklärung so überhaupt noch gültig?
Gefühlte Wahrheiten rund um das Änderungswesen
Kommt das Thema „Änderungsmanagement“ auf den Tisch, gibt es häufig viele rollende Augen. Gefühlt wird Änderungsmanagement leider noch immer als Bremsklotz und nicht als Motor angesehen. Sicherlich bedeutet ein gut aufgestelltes Änderungsmanagement im ersten Augenblick mehr Arbeit. Vor allem mehr Vorarbeit. Wurde die Entscheidung jedoch erst einmal sauber herbeigeführt, liegen alle relevanten Informationen, Kosten und notwendigen Ressourcen auf dem Tisch, so lässt sich eine Änderung strukturierter angehen und umsetzen. Wird der Prozess nicht (sauber) gelebt, mag es den Anschein machen, Änderungen würden so viel schneller umgesetzt, dies birgt jedoch zwei Risiken: unsichere, nicht konforme Produkte werden ausgeliefert, die im schlimmsten Fall unzufriedene Kunden und verletzte Patienten zurücklassen. Und die Kosten und Aufwände, um wieder konform zu werden, sind vorhanden, verstecken sich aber hinter den „Eh da“-Kosten.
Läuft das Änderungsmanagement an sich, werden Änderungen aber gerne auch „klein“ dokumentiert, um möglichst nicht im Bereich des major / significant Changes zu landen. Bis es um das Bewerben der Änderung geht, denn wer ist denn nicht gerne innovativ? Doch diese schmerzliche Erkenntnis muss ausgehalten werden: ist die Änderung nur geringfügig, wird sie wohl keine große Innovation mit sich bringen, kommt aber auch schneller auf den Markt. Ist die Änderung umfangreich und benötigt zur korrekten Umsetzung einen hohen Aufwand an Ressourcen und Zeit, so lässt sie sich vermutlich auch als innovativ bewerben.
Und zu guter Letzt sei noch erwähnt: egal wie gut Ihr Änderungsmanagement aufgestellt ist, am Ende des Tages kommt es darauf an, dass alle Mitarbeiter des Unternehmens die Bedeutung des Prozesses verstanden haben und aktiv leben. Nur wenn Änderungen offiziell in den Prozess eingebracht werden, können sie auch korrekt umgesetzt werden. Und dies beginnt bereits mit der Änderung einer Bezugsquelle oder der Einstellung eines minimalen Fertigungsparameters.
Sie scheuen sich noch vor der Veränderung Ihres Änderungsmanagements? Ihnen fehlt es noch an Überzeugungskraft aller Kollegen? Oder Sie wünschen sich noch einmal einen neutralen Blick von außen? Wir helfen Ihnen gerne dabei, Ihre Änderungen in den Griff zu bekommen, da mit Sie sich bald wieder anderen Dingen widmen können.
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.