Zur Behandlung von manchen Krankheitsbildern kann es notwendig sein, dass Medizinprodukte mit Arzneimitteln kombiniert werden. So entsteht schnell ein sogenanntes „Kombinationsprodukt“ – englisch: Drug Device Combination. Doch welche Anforderungen gelten für Medizinprodukte, die mit einem Arzneimittel kombiniert werden? In diesem Artikel zeigen wir wichtige Hintergründe und Zusammenhänge auf, die essenziell sind, um die regulatorischen Vorgaben zu erfüllen, welche mit dem Inkrafttreten der MDR definitiv komplexer geworden sind.
„Kombinationsprodukte“ und wie sie definiert werden
Zunächst ist es erwähnenswert, dass der Begriff „Kombinationsprodukt“ per se nicht in der MDR verwendet wird. Im definitionsgebenden Artikel 1, Absatz 8 und 9 wird vielmehr von einem einzig untrennbaren Gesamtprodukt oder integralen Bestandteilen eines Produkts gesprochen.
Ausschlaggebend für die Definition ist die Hauptwirkungsweise des Produkts. So muss zuerst die Frage beantwortet werden, welche der beiden Komponenten die Hauptwirkung stellt und welche Zweckbestimmung sich daraus konkret ergibt. Diese beiden Faktoren bestimmen, ob das Produkt primär als Medizinprodukt oder als Arzneimittel eingestuft wird.
Wenn die Hauptwirkung eindeutig auf eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungsweise zurückgeführt werden kann, wird das Produkt unter der Gesetzgebung für Arzneimittel (primär dem Arzneimittelgesetz AMG und die Richtlinie 2001/83/EG) reguliert. Hierbei spricht man auch von einem Medizinprodukt mit Arzneimittel als integralem Bestandteil.
Geht die Hauptwirkung jedoch vom Medizinprodukt aus und besitzt der integrale, pharmazeutische Bestandteil jedoch nur eine unterstützende Funktion, so wird das gesamte Produkt als Medizinprodukt gesehen.
Im Zweifelsfall sind die MDR und das AMG intensiv auszuwerten oder eine Anfrage zur Klärung an das BfArM zu richten.
Es ist dabei wichtig zu beachten, dass Produkte zur Abgabe von Arzneimitteln, Systeme und Behandlungseinheiten keine Kombinationsprodukte darstellen. Je nachdem, ob das Produkt vorrangig als Arzneimittel oder Medizinprodukt klassifiziert wird, muss die jeweilige andere Behörde dennoch mit einbezogen werden.
Als Hilfestellung zur Einstufung eines möglichen „Kombinationsprodukts“ finden Sie beigefügt unser Flowchart zum Thema:
Wann fällt das Produkt in den Geltungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG?
Bei der Feststellung, in welchen Geltungsbereich das betreffende Produkt fällt, ist die Hauptwirkungsweise ausschlaggebend. Jedes Produkt, das als integralen Bestandteil einen Stoff enthält, der für sich allein genommen zwar als Arzneimittel gelten würde, dem in der produktbezogenen Anwendung allerdings nur eine unterstützende Funktion zukommt, wird auf Basis der MDR bewertet und zugelassen.
Wird diesem Stoff jedoch eine Hauptfunktion in der Wirkungsweise des Gesamtprodukts zugewiesen, so gilt für das gesamte Produkt die Richtlinie für Arzneimittel 2001/83/EG. In diesem Fall gelten für die Sicherheit und Leistung des Medizinprodukt-Teils die in Anhang I der MDR aufgeführten einschlägigen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (MDR, Artikel 1 (8)). Jedes Produkt, das dazu bestimmt ist, ein Arzneimittel (gemäß Richtlinie 2001/83/EG) abzugeben, fällt in den Geltungsbereich der MDR, die Bestimmungen aus der Arzneimittel-Richtlinie treffen dann nicht zu. Werden das Produkt, das zur Abgabe eines Arzneimittels bestimmt ist, und das Arzneimittel jedoch so in Verkehr gebracht, dass sie ein einziges untrennbares Gesamtprodukt bilden, das ausschließlich zur Verwendung in dieser Verbindung bestimmt und nicht wiederverwendbar ist, so unterliegt dieses einzige untrennbare Gesamtprodukt der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Verordnung (EG) Nr. 726/2004. In diesem Fall gelten für die Sicherheit und Leistung des Medizinprodukt-Teils in diesem Produkt die in Anhang I der MDR aufgeführten allgemeinen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen. (MDR, Artikel 1 (9))
Darüber hinaus verpflichtet Artikel 117 der MDR / Anhang I Abschnitt 3.2 Nummer 12 der Richtlinie 2001/83/EG die Hersteller, die eine Kombination aus Arzneimittel und Medizinprodukt als Produkt mit einem integralen Bestandteil auf den Markt bringen und als „Arzneimittel“ vermarkten, eine Stellungnahme einer Benannten Stelle einzuholen, die so genannte Notified Body Opinion. Die Benannte Stelle bestätigt dann, dass das Produkt den allgemeinen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen der MDR (EU) 2017/745 entspricht, und übermittelt der zuständigen Arzneimittelbehörde ein Gutachten zur Bestätigung dieser Übereinstimmung. Dem Hersteller wird eine Bescheinigung ausgestellt, welche Teil des Antrags auf Marktzulassung wird. Dies gilt insbesondere für Neuzulassungen oder wesentliche Änderungen an den Produkten. Zu diesem Thema gibt es ein Team-NB Position Paper, welches eine Anleitung dazu gibt, wie die entsprechenden Dokumente erstellt und eingereicht werden müssen. Produkte, die in diese Kategorie fallen können, sind beispielsweise Autoinjektoren, Inhalatoren, vorgefüllte Vernebler oder Spritzen.
Kleiner Exkurs in das Arzneimittelrecht
Im Umgang mit „Kombinationsprodukten“ ist es sinnvoll etwas tiefer in das Arzneimittelrecht einzusteigen und dabei auch den Begriff des Arzneimittels näher einzugrenzen. In der zugehörigen Richtlinie 2001/83/EG wird der Begriff des Arzneimittels in Artikel 1 (2) folgendermaßen definiert:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die
- als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden;
- dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zu Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt werden
gelten als Arzneimittel.
Dabei ist es bei der Herstellung und Verarbeitung der einzelnen Stoffe wichtig, sich nach den GMP-Leitfäden zu richten und zu handeln, welche in Deutschland durch die Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) geregelt sind.
Die European Medicine Agency ist die Behörde, die bei der Regulierung von Arzneimitteln hauptsächlich zum Zuge kommt. Im Zusammenhang von kombinierten Produkten, kann die EMA somit auch relevant werden.
Herausforderungen in der Gewährleistung der Produktsicherheit
Bereits bei der regulären Konformitätsbewertung von Medizinprodukten spielt die biologische Bewertung und Biokompatibilität eine bedeutende Rolle. In der Verbindung mit Arzneimitteln wird diese Bedeutung jedoch noch größer. So kann bei der biologischen Bewertung und Materialcharakterisierung das Augenmerk vor allem auf Stoffen wie Phthalaten, SVHC-Substanzen, CMR-Stoffe oder anderen biologischen Substanzen liegen. Um absolute Transparenz gewährleisten zu können, müssen kritische Bestandteile abgefragt und bewertet werden, die Liste der Auswahlmöglichkeiten ist hierbei sehr lang und wird durch die Verbindung mit einem Arzneimittel noch komplexer. Dabei spielen auch die sogenannten APIs – active pharmaceutical ingredients – eine Rolle, die ebenfalls charakterisiert und geprüft werden müssen. Der Unterschied zwischen Wirk- und Hilfsstoff in der Rezeptur ist hierbei auch entscheidend und macht das Verfahren komplexer.
Da die Wirkweise des Gesamtproduktes auf zwei verschiedenen Wegen abläuft und somit mehr Risikoquellen vorhanden sind, wird durch den Mechanismus der biologischen Bewertung dem entgegengewirkt und die Produktsicherheit besonders in den Vordergrund gestellt.
Für alle Produkte, die Anhang I der MDR erfüllen müssen, gilt es auch Wechselwirkungen und andere Aspekte der Produktsicherheit zu bewerten, die im Anhang I der Richtlinie 2001/83/EG genannt sind. Diese Forderung ergibt sich aus GSPR 12.2 der MDR und hebt die Punkte Resorption, Verteilung, Metabolismus, Ausscheidung, lokale Verträglichkeit, Toxizität, Wechselwirkungen mit anderen Medizinprodukten, Arzneimitteln oder sonstigen Stoffen sowie mögliche unerwünschte Reaktionen hervor. Für alle „Kombinationsprodukte“ nach Artikel 1(8) Absatz 1 müssen auch die Aspekte Qualität, Sicherheit und Nutzen des Stoffes nach Anhang I der Richtlinie 2001/83/EG überprüft werden.
Technische Dokumentation für die Notified Body Opinion
Hersteller, die eine Notified Body Opinion einholen müssen, um einen objektiven Nachweis zur Einhaltung des Anhang I vorlegen zu können, sollten sich nicht nur auf den Anhang I der MDR fokussieren. Die Nachweisführung erfolgt nach den Modalitäten des Anhang II Abschnitt 4. Und auch die Nachweise selbst lassen sich in Summe anhand der Erfordernisse aus Anhang II „Technische Dokumentation“ zusammenstellen – dies gilt auch in Bezug auf die Verifizierung und Validierung von Produkten und Prozessen. Abweichend davon sind sicherlich die Anforderungen an den UDI und die Registrierung der Wirtschaftsakteure. Was die Inhalte des Dossiers angeht, hilft es jedoch sich Anhang II zur Hand zu nehmen. Dies wird auch im bereits erwähnten Team-NB Position Paper „Documentation Requirements for Drug Device Combination Products“ adressiert. Die Anforderungen aus Anhang III „Technische Dokumentation über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen“ sind durch die Pharmakovigilanz bereits umfangreich abgedeckt.
Anleitung für die ersten Schritte
Zu identifizieren, welche Anforderungen bei Ihrem Produkt nun beachtet und ausgeführt werden müssen, ist nicht immer einfach. Es gibt jedoch Guidance Dokumente, wie das der MDCG „on borderline between medical devices and medicinal products“, welches einen sehr guten Leitfaden für die ersten Schritte darstellt und definitiv zu Rate gezogen werden sollte.
Wenn Sie allerdings eine persönliche Note bevorzugen, wenden Sie sich gerne an die Fachexperten der seleon, die direkt zu Ihrer individuellen Situation passend mit kompetenter Beratung zur Seite stehen können.
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.