Das Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Medizinprodukte (Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz – MPDG)ist nun seit dem 26.05.2021 formal in Kraft getreten und hat das vormalige Medizinproduktegesetz MPG abgelöst – jedenfalls für Medizinprodukte, die keine In-vitro-Diagnostika sind. Doch wie werden sich die nationalen Neuerungen in der Praxis auswirken? Und was gibt es für Hersteller zu beachten, damit keine bösen Überraschungen aus dem Hut gezaubert werden?
Das neue Gesetz stellt sich als ein komplexes Werk dar, mit unmittelbarem Bezug auf die europäische Gesetzgebung und eine neue Gesamtstruktur. Dabei hat nicht nur die inhaltliche Zusammenlegung mit weiteren vormaligen Verordnungen wie der Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten (MPKPV) den Umfang erhöht. Die Neustrukturierung und der größere Umfang wurden bereits in früheren Beiträgen thematisiert.
- Nicht nur der Name ist länger: vom MPG zum MPDG
- Eine ruhige Hand und ruhige Überlegungen: MDR und die nationale Gesetzgebung
Der Medizinproduktehersteller, als zentraler Adressat des Gesetzes, sieht sich mit einer Reihe von Änderungen konfrontiert. Deren Auswirkungen muss er im Einzelnen für sein Unternehmen, seine Produkte, deren Weiterentwicklung sowie seine umfassende Innovationspolitik bewerten. Für manch hoch innovatives Start-up kann dies auch zu einer Grundsatzfrage werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich manche Auswirkungen vermutlich erst in den konkreten Durchführungsdetails offenbaren werden. Ein genauer Blick und eine gute Planung sind deshalb ratsam.
Im Mittelpunkt sämtlicher regulatorischer und legislativer Bemühungen auf europäischer und nationaler Ebene stehen Sicherheit und Leistung der Produkte bei deren klinischer Anwendung. Für den Nachweis werden geeignete klinische Daten für das betreffende Medizinprodukt gefordert. Leider gelingt hierbei die Einbindung von Daten „ähnlicher“ Produkte wegen des in der MDR enger gefassten Äquivalenzansatzes immer seltener. Das bedeutet, eigene klinische Daten für das eigene Medizinprodukt müssen generiert werden. Hinzu kommt, dass auch für die Zeit nach dem Inverkehrbringen weiterhin klinische Daten zu erheben sind.
Klinische Daten sind das Zauberwort. Und deshalb werden klinische Prüfungen, die möglichst effizient genau diese geforderten klinischen Daten liefern, immer mehr in den Fokus der Hersteller rücken. Zum Umgang mit klinischen Prüfungen berichteten wir bereits im vergangenen Beitrag. Die MDR fordert für Klasse-III-Produkte fast ausnahmslos Klinische Prüfungen. Aber auch bei allen anderen Medizinprodukten wird man häufig geeignete Daten nur in einer Studie erzeugen können. Zunehmend werden die Hersteller auch bei Produktweiterentwicklungen wieder in den Ring steigen und dann mit den Regularien, die für Produkte mit CE-Kennzeichnung bei der Durchführung von Studien gelten, kämpfen müssen. Insgesamt stehen Patienten-relevante Datensätze im Mittepunkt.
Hersteller sollten sich deshalb besser früher als später mit der Thematik Klinischer Daten und Prüfungen auseinandersetzen – gerade auch bei Bestandsprodukten.
Es wundert deshalb nicht, dass ein erheblicher Teil der MDR und nun auch des MPDG den Themenkomplex „Klinische Prüfungen“ betrifft. Wir möchten versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen und in diesem sowie in einem der nächsten Blog-Beiträge uns den Änderungen des MPDG im Hinblick auf klinische Prüfungen widmen. Wir werden dabei einige Aspekte beleuchten, von denen wir denken, dass sie unserer Aufmerksamkeit bedürfen, da sie sich auf die Verfahrensart oder -dauer auswirken und damit den Hersteller wertvolle Zeit bis zur Zulassung kosten könnten.
Die Änderungen, die wir behandeln möchten, betreffen zum einen den Bereich der Eingruppierung verschiedener Klinischer Prüfungen (Stichwort „Sonstige Klinische Prüfungen“) und zum anderen den Bereich der Genehmigungsverfahren.
Widmen wir uns zunächst den Antragsverfahren für Klinische Prüfungen nach MDR Art. 62:
Die offensichtlichste Änderung im Antragsverfahren einer Klinischen Prüfung besteht in der neu eingeführten sequenziellen Bearbeitung durch die zuständigen Institutionen: Zunächst erfolgt die Bearbeitung durch die Ethikkommission und daran anschließend die durch das BfArM.
Die MDR regelt hier nur die Voraussetzungen zu Beginn einer Klinischen Prüfung:
- MDR Art. 62 (4) a) Genehmigung durch nationale Behörde
- MDR Art. 62 (4) b) positives Votum der Ethikkommission
Eine Reihenfolge wird nicht festgelegt und auch nicht gefordert, eine parallele Bearbeitung ist möglich. Es wird den Mitgliedsstaaten sogar explizit freigestellt, für welche Vorgehensweise sie sich entscheiden (MDR Annex XV Kap. II Nummer 4.2).
Im MPDG wird in § 38 (1) Satz 2 festgelegt, dass das Votum der Ethikkommission Antragsbestandteil beim Verfahren beim BfArM sein soll – und damit wird das gesamte Verfahren nach vorne gestreckt.
Wie wird dieses sequenzielle Verfahren durch das MPDG auf Basis der MDR
im Detail geregelt?
Zum Antragsverfahren und zur Bearbeitung des Antrags findet sich in der MDR für das BfArM ein Fristfenster von 10 Tagen zur Prüfung der Zuständigkeit und der Vollständigkeit des eingereichten Antrags (MDR Art. 70 [1] Satz 1). Sind Unterlagen nachzureichen, wird dem Hersteller/Sponsor eine Frist von maximal 10 Tagen eingeräumt, diese zu liefern (nach MDR Art. 70 [3]). Danach hat das BfArM weitere 5 Tage Zeit, neuerlich die Vollständigkeit festzustellen. Da nur eine einzige Nachforderung möglich ist, ergibt sich eine maximale Dauer von 25 Tagen bis zum Beginn der inhaltlichen Prüfung des Antrags – falls alle regulären Fristen ausgeschöpft werden.
Die MDR sieht des Weiteren vor, dass auf nationaler Ebene eine Verlängerung der Frist zur Nachreichung der Unterlagen von 10 auf bis zu 30 Tage möglich ist. Darüber hinaus bietet die MDR eine nochmalige Erweiterung aller bislang genannten Fristen (MDR Art. 70 [4]) um bis zu jeweils 5 Tage an. Letzteres erscheint uns nicht präzise formuliert zu sein, denn sinnvoll wäre ein Bezug dieser 5-Tage-Verlängerung nur für die Prüfungsfristen des BfArM, denn die Nachreichefrist ist ja schon mit der 20-Tage-Verlängerung berücksichtigt worden.
Werden die Zuständigkeit und Vollständigkeit vom BfArM festgestellt, so wird dies dem Antragsteller mitgeteilt – oder auch nicht. Nach MDR Art. 70 (5) wird spätestens mit Ablauf der oben genannten Fristen, auch bei ausbleibender Reaktion des BfArM, das sogenannte Validierungsdatum festgesetzt.
Die Frist für die nächste Phase des Genehmigungsprozesses – die eigentliche inhaltliche Prüfung des Antrags – beginnt mit der genannten Validierung. MDR Art. 70 (7) b) gibt für diese Frist 45 Tage an, die auf nationaler Ebene um 20 Tage verlängert werden kann, falls seitens des BfArM noch externe Experten hinzugezogen werden. Allerdings gilt dies nur für bestimmte höhere Risikoklassen. Klinische Prüfungen für Produkte niedrigerer Risikoklassen können bereits unmittelbar nach Validierung begonnen werden (MDR Art. 70 (7) a) (positives Votum der Ethikkommission vorausgesetzt). Dazu später mehr.
Falls das BfArM bei der Prüfung des Antrags zusätzliche Informationen vom Antragsteller benötigt, wird die 45-Tage-Frist ausgesetzt, bis die Information eingeht (MDR Art. 70 [6]) – und das ohne Begrenzung der Anzahl oder sonstiger Einschränkungen. Hier kann nur die Praxis zeigen, ob diese Öffnungsklausel zu nicht kalkulierbaren Genehmigungsverfahren führt.
Wie werden nun die Vorgaben der MDR in der Bundesrepublik im MPDG umgesetzt, wie werden die Gestaltungsmöglichkeiten, die die MDR vorsieht, ausgeschöpft?
Hier überrascht bereits MPDG § 31:
- Es wird bei den Klinischen Prüfungen, die bereits nach dem Validierungsdatum begonnen werden dürften, eine zusätzliche 10-tägige „Widerspruchsfrist“ eingeführt (§31 (1) 1.). Dabei bleibt unklar, was in dieser Frist auf Seiten des BfArM geprüft wird, was dann zu einem Widerspruch durch das BfArM führen könnte. Denn die Vollständigkeit wurde bereits bestätigt (=Validierung) und eine inhaltliche Prüfung ist nach MDR nicht und nach MPDG nur für die richtige Anwendung der Klassifizierungsregel (MPDG §39 (3)) vorgesehen. Bei Letzterem kann aus unserer Sicht diskutiert werden, ob das nicht bereits vorher geprüft werden müsste. Problematischer ist jedoch, dass aktuell nicht erläutert wird, was nach einem solchem Widerspruch geschieht.
- Außerdem wird die Aufteilung der Risikoklassen, bei denen eine inhaltliche Prüfung stattfinden soll, verändert: Belässt es die MDR bei Klasse IIb (nichtinvasiv) noch bei der Validierung, fordert das MPDG für Klinische Prüfungen an solchen Produkten einen vollumfänglichen Genehmigungsprozess.
In der MDR, die das bewusst den Mitgliedsstaaten überlässt, finden sich keine Verfahrensanweisungen für die Prüfung des Antrags durch die Ethikkommission. Im MPDG wird dies umfangreich nachgeholt.
Nachdem für die Bundesrepublik die sequenzielle Anordnung der beiden Antragsprüfungen festgelegt wurde, muss zwangsläufig zunächst die Ethikkommission die Vollständigkeit und Ordnungsgemäßheit des Antrags prüfen. Das MPDG (§34 [1]) sieht hierfür keine Frist vor. Es wird lediglich ausgeführt, dass bei der Nachforderung von Unterlagen dem Antragsteller eine Frist von 10 Tagen eingeräumt wird (§ 34 [2] Satz 1).
§ 34 (2) Satz 2 legt leider auch fest, dass die Frist von 10 Tagen für die Ethikkommission zur Mitteilung der Vollständigkeit erst nach dem letzten eingegangenen Dokument, was zur Ordnungsgemäßheit führt, beginnt. In der Praxis wird es vermutlich immer Nachforderungen geben. Hinsichtlich der Gesamtdauer der Prüfung durch die Ethikkommission ist dies eine weitere Unbekannte.
Eine zeitliche Begrenzung der eigentlichen Prüfung und Beratung durch die Ethikkommission schafft MPDG § 36 im Zusammenspiel mit § 35 (3): Die reguläre Frist bis zum Votum beträgt 30 Tage. Diese wird ausgesetzt, wenn vom Antragsteller Unterlagen nachgefordert werden. Diesem wird eine individuell festgelegte Frist gesetzt, die aber maximal 45 Tage betragen kann. Eine klare Begrenzung kommt dadurch zustande, dass die EK nur einmalig Unterlagen nachfordern kann. Verlängernd wirkt sich auch die Hinzuziehung von Experten durch die EK aus, hier reden wir aber maximal von 15 Tagen.
Da das MPDG selbst keine näheren Angaben zu den zeitlichen Rahmenbedingungen des Antragsverfahrens beim BfArM macht, ist davon auszugehen, dass die oben dargestellte Abfolge nach MDR – inklusive einer neuerlichen Prüfung auf Vollständigkeit – so in der Praxis durch das BfArM umgesetzt werden wird.
Als Zwischenresümee bleibt aus unserer Sicht festzuhalten, dass sich die vormals im MPG geregelten Fristen für die Bearbeitung durch die Ethikkommission von 60 Tagen und durch das BfArM von 30 Tagen im MPDG teilweise durchaus verkürzt haben – jedoch nun mit sequenzieller Abarbeitung. Obwohl sich die Bearbeitungsfristen geändert haben, kann es aber insbesondere durch die nahezu unbegrenzt mögliche Nachforderung von Unterlagen oder Informationen zu einer erheblich längeren Bearbeitungsdauer kommen als vormals. Inwiefern Ethikkommissionen in der Vorprüfung oder das BfArM in der Hauptprüfung von dem aktuellen Recht Gebrauch machen, mehrere Nachforderungen von Informationen zu erheben, bleibt abzuwarten. Es bleibt zu hoffen, dass wichtige Bestandteile und Aspekte des Antrags möglichst nur von einer Institution geprüft werden, was sich durch § 39 (1) andeutet und deshalb möglicherweise insgesamt in der sequenziellen Ausführung keine übermäßigen Zeitverluste entstehen. Ebenso bleibt zu hoffen, dass nicht alle Fristen ausgeschöpft werden.
Die Verschiebung von Produkten der Risikoklasse IIb (nichtinvasiv) in die volle Antragsprüfung wird vermutlich Diskussionen über die Klassifizierung auslösen. Zusammen mit der Widerspruchsmöglichkeit durch das BfArM bei anderer Auffassung hinsichtlich der vom Hersteller gewählten Risikoklassen mit unklaren Rechtsfolgen ist Unmut vorprogrammiert.
Vom Hersteller von hoch innovativen Medizinprodukten wird ohnehin viel Geduld verlangt, da vor Antragstellung für die Prüfung bereits die komplette Technische Akte inklusive aller Testberichte vorliegen sowie nach der Genehmigung der Klinischen Prüfung diese auch erst einmal durchgeführt werden muss. Und daran schließt sich auch noch die Bearbeitungszeit der Benannten Stelle von derzeit 6 bis 12 Monaten für die Zertifizierung an. Insofern wäre es wünschenswert (gewesen), dass im Genehmigungsprozess einer Klinischen Prüfung nicht noch weitere Stolpersteine in den Weg gelegt werden. Eine inhaltliche gewissenhafte Prüfung aller in der MDR geforderten Aspekte ist zweifelsohne eine sinnvolle Maßnahme und führt zu Vertrauen bei Patienten und Anwendern. Aber Hürden formalerer Natur sollten nicht aufgebaut werden.
Erfüllt nun das neue bundesdeutsche Gesetz den ihm zugedachten Zweck, die EU-Regelungen für klinische Prüfungen auf nationaler Ebene umzusetzen? Wurden an den von der MDR geforderten Stellen Präzisierungen und Auslegungen geliefert, die umsichtig und innovationsfördernd sind? Oder wurden durch Detailregelungen sogar zusätzliche Hürden für den Medizinproduktehersteller und seine Produkte aufgebaut?
Wir sehen einige Dinge in der praktischen Durchführung durchaus als kritisch an. Wie sich das jedoch im tatsächlichen Zulassungsleben auswirken wird, bleibt abzuwarten. Schließlich gibt es noch nicht viel Erfahrung mit den neuen Regelungen, nicht nur bei den Medizinprodukteherstellern, sondern auch bei der Bundesoberbehörde und dann nachfolgend den benannten Stellen. Ebenso bleibt abzuwarten, ob sich nicht auch auf Ebene der Ethikkommissionen in der Praxis noch Neuerungen oder Veränderungen ergeben.
Hier bei seleon beschäftigen uns noch viele weitere Aspekte zum Thema Klinische Daten. Wir beobachten die neuen Regularien im täglichen, praktischen Leben und welche Tendenzen sich erkennen lassen. Seien Sie daher bereits jetzt auf unseren Folgebeitrag „Sonstige Klinische Prüfungen“ gespannt, der sich dann speziellen Fragestellungen widmen wird, damit Sie wissen, wie der Hase läuft.
Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.