Gleicht ein jedes Ei dem anderen? Der Leitfaden MDCG 2020-5 „Clinical Evaluation – Equivalence: A guide for manufacturers and notified bodies“, welcher seit April 2020 in seiner ursprünglichen Fassung verfügbar ist, adressiert die Voraussetzungen für und die konkrete Ausgestaltung der Äquivalenzbetrachtung im Rahmen der Erstellung von klinischen Bewertungen. Allgemein gesagt sollte die Äquivalenzbetrachtung nach den gültigen Regeln der MDR durchgeführt werden. Die Vorgaben und Empfehlungen der MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 haben auch drei Jahre nach Geltungsbeginn der MDR weiterhin ihre Berechtigung, nichtsdestotrotz ergeben sich Abweichungen zur MDR, die im MDCG-2020-5-Dokument diskutiert werden, ohne dass dabei neue Aspekte und Vorgaben eingeführt wurden. Rechtlich bindend bleibt alleinig die MDR, die Leitfäden sind jedoch als „Stand der Technik“ zu verstehen und zu berücksichtigen.

In gleichem Wortlaut wie die MDR verlangt die MEDDEV 2.7/1 Rev.4, dass bei der Erstellung einer klinischen Bewertung auf Basis des Äquivalenzprinzips technische, biologische und klinische Charakteristika bei der Bewertung der Äquivalenz Beachtung finden müssen. Unterschiede zwischen MDR und der MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 zeigen sich in den Kriterien der Bewertung dieser drei Charakteristika, denen sich das MDCG 2020-5 Dokument widmet.

Technische Aspekte der Äquivalenzbetrachtung

Während die MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 fordert, dass das zu bewertende Medizinprodukt und das Äquivalenzprodukt unter gleichen Anwendungsbedingungen im Hinblick auf technische Charakteristika eingesetzt werden muss, ist in der MDR nur von ähnlichen Anwendungsbedingungen die Rede. Sofern gemäß MDCG 2020-5 kein klinisch signifikanter Unterschied der Sicherheit und Leistungsfähigkeit zu erwarten ist, sind die Anwendungsbedingungen ähnlich zu bewerten.

Die MDCG 2020-5 weist darüber hinaus darauf hin, dass die MDR den Aspekt der Softwarealgorithmen herausgreift (im Gegensatz zur MEDDEV 2.7/1 Rev. 4), sowohl für Software, die zum Betrieb eines Medizinprodukts notwendig ist, als auch für Software, die selbst als eigeständiges Medizinprodukt klassifiziert wird. Um Äquivalenz im Sinne der MDR nachweisen und bewerten zu können, gilt in diesem Fall laut MDCG 2020-5, dass sowohl das Funktionsprinzip der Software – oder genauer des zugrunde liegenden Algorithmus – als auch die klinische Leistungsfähigkeit sowie die festgelegte Zweckbestimmung bei der Betrachtung einbezogen müssen.

Biologische Aspekte der Äquivalenzbetrachtung

Während der einleitende Satz noch weitgehend deckungsgleich ist zwischen MDR und MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 („Verwendung gleicher Materialien oder Substanzen in Kontakt mit der gleichen Art menschlichen Gewebes oder Körperflüssigkeiten“) ergeben sich in der Folge entscheidende Unterschiede, die den biologischen Äquivalenzvergleich in der MDR verschärfen:

  • Die in der MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 genannten Ausnahmen bei der Bewertung der Äquivalenz hinsichtlich Medizinprodukten, die nur Kontakt mit intakten Hautpartien haben, oder für einzelne Komponenten des Medizinprodukts, die nur von untergeordneter Bedeutung sind, entfallen im Zuge der MDR. Die Vorgehensweise, sich in diesen Fällen auf die Ergebnisse der Risikoanalyse bezüglich dieser Materialien stützen zu können, basierend auf den biologischen Eigenschaften und dem entsprechenden Einsatz und der damit postulierten Ähnlichkeit, ist im Rechtsrahmen der MDR nicht mehr zulässig. Darauf weist die MDCG 2020-5 ausdrücklich hin.
  • Ergänzend zum oben dargestellten einleitenden Satz fordert die MDR darüber hinaus einen zumindest ähnlichen Anwendungszeitraum sowie einen ähnlichen Freisetzungsmechanismus von eingesetzten Substanzen; dazu gehören auch Abbauprodukte und herauslösbare Stoffe („Leachables“), um die biologische Äquivalenz nachzuweisen. Die MDCG 2020-5 gibt hierzu die Hintergrundinformationen, dass durch diese Formulierung der Tatsache Rechnung getragen werden soll, dass sich durch äußere Einflüsse oder die Verarbeitung bestimmter Stoffe oder Substanzen Änderungen ergeben können, auch wenn die eingesetzten Rohmaterialien identisch sind.
  • Für Medizinprodukte, die sich aus mehreren Substanzen zusammensetzen bzw. eine Kombination von Substanzen darstellen und im menschlichen Körper absorbiert oder aufgelöst werden, müssen ebenso gleiche Substanzen zum Einsatz kommen, um Äquivalenz nachzuweisen. Auch wenn diese Produkte keine Arzneimittel darstellen, weist die MDCG 2020-5 darauf hin, dass dennoch die Konformität mit den relevanten Anforderungen des Anhangs 1 der Richtlinie 2001/83/EC Berücksichtigung finden muss, um biologische Äquivalenz im Rahmen der MDR für sich beanspruchen zu können.
Klinische Aspekte der Äquivalenzbetrachtung

Die MDCG 2020-5 beschreibt bezüglich klinischer Äquivalenz zwei Aspekte, die in Wortwahl und Bedeutung ein abweichendes Bild zur MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 zeichnen:

  • Sowohl das zu bewertende Medizinprodukt als auch das Äquivalenzprodukt müssen von der gleichen Anwendergruppe verwendet bzw. angewendet werden; dabei ist es aus Sicht der MDR ohne Bedeutung, ob dies ein Angehöriger der Gesundheitsberufe ist oder ein Laie ohne medizinische Vorbildung. Letztlich stellt diese Anforderung eine Verschärfung der Vorgaben im Vergleich zur MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 dar.
  • Während die MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 bezogen auf die klinische Anwendung eindeutig davon redet, dass die zu vergleichenden Medizinprodukte für die gleiche medizinische Indikation sowie für das gleiche Geschlecht und Anwendungsdauer verwendet werden müssen, wird dies in der MDR formal in abgeschwächter Form mit „gleichem klinischen Zustand des Patienten oder zum gleichen Zweck“ beschrieben. Die Deutung im Rahmen des MDCG-2020-5-Dokuments kommt jedoch zu dem Schluss, dass dieser Aspekt trotz der abweichenden Formulierung dem gleichen Niveau im Hinblick auf den Äquivalenzvergleich wie in der MEDDEV 2.7/1 Rev. 4 entspricht.
Zielstellung der MDCG 2020-5

Bei der globalen Erstellung des Äquivalenzvergleichs geht es nach MDCG 2020-5 primär darum, alle in der MDR geforderten und gelisteten Charakteristika technischer, biologischer und klinischer Art nachweislich und begründet darzustellen, um – im besten Fall – zu dem Schluss zu kommen, dass kein klinisch signifikanter Unterschied hinsichtlich Sicherheit und klinischer Leistungsfähigkeit zum Äquivalenzprodukt besteht. Es ist nach wie vor nicht ausgenommen, mehrere Äquivalenzprodukte in der klinischen Bewertung abzubilden, jedoch muss jedes einzelne dieser Produkte in den drei oben genannten Kategorien den Vorgaben der MDR entsprechen. Eine Kombination von Merkmalen verschiedener Produkte ist, wie auch schon in der MEDDEV 2.7/1 Rev. 4, nicht zulässig.

Des Weiteren weist die MDCG 2020-5 im Rahmen ihrer Einschätzung der MDR darauf hin, dass Unterschiede technischer, biologischer oder klinischer Natur, die sich beim Äquivalenzvergleich ergeben, auf Basis von wissenschaftlichen Nachweisen abschließend bewertet und im Idealfall als nicht klinisch signifikant eingeschätzt werden können. Präklinische Daten wiederum können vor allem bei der Betrachtung technischer und biologischer Äquivalenzcharakteristika sehr hilfreich sein. Diese müssen sich selbstverständlich auf die aktuelle Version/Generation des betrachteten Medizinprodukts beziehen.

Grenzen der Äquivalenzbetrachtung

Auf die Grenzen der grundsätzlichen Zulässigkeit des Äquivalenzverfahrens geht die MDCG 2020-5 ebenfalls ein. Dies betrifft Hersteller von Klasse-3-Produkten sowie implantierbaren Produkten. Die Äquivalenzbetrachtung ist nur in den zwei folgenden Fallkonstellationen überhaupt zulässig, unabhängig von der inhaltlichen Ausgestaltung der Äquivalenzbetrachtung:

  • Der Hersteller bezieht sich auf ein Vorgängerprodukt aus dem eigenen Haus, das entsprechend den Richtlinien MDR oder 93/42/EEC oder 90/385/EEC bereits CE-zugelassen und vertrieben wird.
  • Der Hersteller bezieht sich auf ein Äquivalenzprodukt eines Mitbewerbers, mit dem eine vertragliche Vereinbarung besteht, die unbeschränkten und fortlaufenden Zugriff auf die technische Dokumentation dieses Äquivalenzprodukts ermöglicht. Darüber hinaus muss Zugriff auf die klinische Bewertung, ausgeführt nach den Vorgaben der MDR, bestehen, was impliziert, dass dieses Medizinprodukt bereits unter der MDR zertifiziert wurde.

In allen anderen Fällen wird der Nachweis der Sicherheit und klinischen Leistungsfähigkeit nur noch anhand von klinischen Prüfungen stattfinden können. Dies gilt jedoch nicht bei speziellen Produktgruppen wie in Artikel 61(6b) der MDR aufgeführt, hier kann auch weiterhin auf die Durchführung klinischer Prüfungen verzichtet werden, sofern sich die klinische Bewertung auf ausreichende klinische Daten stützt.

Bezüglich des Zugangs zu Daten und Informationen zur Erstellung des Äquivalenzvergleichs sei folgender Leitfaden  ans Herz gelegt: Die MDCG Guidance 2023-7 geht insbesondere auf das Thema des Zugangs zu notwendigen Daten für die Erstellung des Äquivalenzvergleichs ein. Für Hersteller mit Medizinprodukten außerhalb der Risikolasse III und im nicht-implantierbaren Bereich wird zwar keine vertragliche Vereinbarung gefordert, jedoch „muss eindeutig nachgewiesen werden, dass die Hersteller über einen hinreichenden Zugang zu den Daten von Produkten, mit denen sie die Gleichartigkeit geltend machen, verfügen, um die von ihnen behauptete Gleichartigkeit belegen zu können“. Die Guidance zeigt verschiedene Fallkonstellationen auf und weist jeweils auf mögliche Einschränkungen hin, die es bei der Erstellung des Äquivalenzvergleiches zu beachten gilt.

Für Produkte ohne medizinischen Verwendungszweck gemäß Anhang XVI der MDR wie beispielsweise Kontaktlinsen oder Geräte zur transkraniellen Stimulation des Gehirns sollten grundsätzlich klinische Prüfungen durchgeführt werden, es sei denn, es liegen klinische Daten eines analogen Medizinprodukts vor. Analog bedeutet Produkt mit ähnlicher technischer Basis und Risikoprofil, jedoch mit medizinischem Verwendungszweck. Somit wird in einer Vielzahl von Fällen auch für relativ „banale“ Produkte mit der Durchführung einer klinischen Prüfung zu rechnen sein, da mögliche Äquivalenzprodukte nicht oder nur schwer zu identifizieren sind.

Im Rahmen der klinischen Bewertung kommt es über eines der zentralen Elemente, die Darlegung der Äquivalenz (sofern die klinische Bewertung auf diesem Prinzip aufbaut), hinaus auch noch darauf an, relevante Gefährdungen oder klinische Risiken zu identifizieren, den State of the Art, alternative Behandlungsmethoden und den klinischen Hintergrund der zugrunde liegenden Erkrankung wissenschaftlich fundiert zu beschreiben. Die Basis hierfür können wissenschaftliche Publikationen von ähnlichen Medizinprodukten liefern, die der gleichen generischen Produktgruppe wie das zu bewertende Medizinprodukt angehören.

Abschließend noch ein Hinweis zur Identifikation geeigneter klinischen Daten: Sowohl für das zu bewertende Medizinprodukt als auch für das Äquivalenzprodukt sind alle verfügbaren Daten heranzuziehen, gleichgültig, ob diese vorteilhafte oder unvorteilhafte Ergebnisse im Hinblick auf die Sicherheit und klinische Leistungsfähigkeit des Medizinprodukts liefern. Die Analyse der Daten richtetet sich in letzter Instanz auf den Abgleich bzw. die Herstellung der Konformität der klinischen Evidenz mit den relevanten, grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen. Die Vorgehensweise zur Identifikation, Bewertung und Analyse klinischer Daten findet sich nach wie vor in der MEDDEV 2.7/1 Rev. 4; diese Regeln haben auch unter der MDR weiterhin ihre Gültigkeit, vorausgesetzt, die klinischen Daten entsprechen der Definition der MDR, siehe Artikel 2, Punkt 48 der MDR.

Sie sind sich nun noch immer nicht sicher, ob Sie hier Äpfel mit Birnen vergleichen oder vielleicht doch nur braune mit weißen Eiern? Wir gucken mit Ihnen gerne ins Innerste Ihrer Daten und unterstützen Sie bei der Klärung über deren Verwendung.

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