Der risikobasierte Ansatz bei der Prozessvalidierung

Die Qualität eines Medizinprodukts kann von verschiedensten Aspekten beeinflusst werden. Um mindernden Einfluss bei Entwicklung und Herstellung zu vermeiden müssen Prozesse häufig validiert werden. Dies erfolgt anhand ausgewählter Stichproben. Doch wie groß müssen diese sein und wie lässt sich diese Größe begründen? Der risikobasierte Ansatz kann im Falle von Prozessvalidierungen helfen. Auch gibt es bereits etablierte statistische Methoden zur Bestimmung von Stichprobengrößen für die Prozessvalidierung.

Wie diese Methoden in das QM System gesamthaft integriert werden können, auch mit Blick auf das allgemeine Risikomanagementsystem, gilt es individuell anzugehen.

Woher kommen die Anforderungen an einen risikobasierten Ansatz für Prozessvalidierung.

Der risikobasierte Ansatz bei der Prozessvalidierung ist bereits seit 2016 Bestandteil der ISO 13485.

Die MDR und FDA fordern eine Validierung der Prozesse mit Hilfe anerkannter statistischer Methoden, wobei der Stichprobenumfang zu begründen ist. Im Folgenden finden sich Auszüge aus den Regularien, Normen und auch Leitfäden, die eine Prozessvalidierung fordern und Lösungsansätze für eine erfolgreiche Umsetzung bieten.

  • MDR, Anhang II, 3. Informationen zu Auslegung und Herstellung

Die zu erstellende technische Dokumentation umfasst unter anderem „b) vollständige Informationen und Spezifikationen einschließlich der Herstellungsprozesse und ihrer Validierung, […]“

  • MDR, Artikel 17 Einmalprodukte und ihre Aufbereitung

Es muss sichergestellt werden, dass „[…] die Aufbereitung gemäß den GS durchgeführt wird, die Einzelheiten zu folgenden Anforderungen enthalten: […] – zur Validierung der Verfahren für den gesamten Prozess einschließlich der Reinigungsschritte“.

  • EN ISO 13485:2016 + AC:2018 + A11:2021

Jeder Produktionsprozess, dessen Ergebnis nicht zu 100 % verifiziert werden kann, muss validiert werden. Abschnitt 7.5.6 (und in Abschnitt 7.5.7 für Sterilisationsprozesse).
Die Organisation muss sämtliche Prozesse der Produktion und Dienstleistungserbringung validieren, deren Ergebnis nicht durch nachfolgende Erfassung oder Messung verifiziert werden kann. Die Validierung muss dabei die Fähigkeit dieser Prozesse zur beständigen Erreichung der geplanten Ergebnisse darlegen.

  • 21 CFR 820.75(a) [9.3]

Können die Ergebnisse eines Prozesses durch anschließende Inspektion und Prüfung nicht vollständig verifiziert werden, so ist der Prozess mit einem hohen Maß an Sicherheit zu validieren und gemäß den festgelegten Verfahren zu genehmigen.

  • Guidance for Industry, Process Validation: General Principles and Practices

Dieser Leitfaden der FDA gibt Anhaltspunkte zur korrekten Planung, Durchführung und Dokumentation von Prozessvalidierung im pharmazeutischem Bereich.

  • EU Guidelines for Good Manufacturing Practice for Medicinal Products for Human and Veterinary Use: Annex 15 Qualification and Validation

Diese Richtlinie kann analog für Medizinprodukte herangezogen werden. Die GHTF-Richtlinie und die beschriebene FDA-Richtlinie aus dem Pharmabereich ergeben eine sinnvolle Kombination an praxisorientierten Vorgaben für die Validierung!

  • Richtlinie der Global Harmonization Task Force (GHTF), die ausschließlich für den Medizinproduktebereich gilt. Die Quality Management Systems – Process Validation Guidance

Diese Richtlinie betont die besondere Situation der Prozessvalidierung im Medizinproduktebereich. Sie geht darauf ein, dass Faktoren wie das Produktionsvolumen, die Anzahl von Fertigungsschritten oder beispielsweise zerstörende Prüfungen einen großen Einfluss auf die Herangehensweise an die Prozessvalidierung haben und bietet Lösungsansätze über statistische Verfahren. Zwar wurde das GHTF (Global Harmonization Task Force) durch das IMDRF (International Medical Device Regulators Forum) abgelöst. Dennoch bietet diese Guidance sinnvolle Lösungen zur Prozessvalidierung, die nach wie vor State of the Art sind.

Der Zweck statistischer Methoden und die häufigsten Vertreter 

Beim Produktionsprozess gilt es das Risiko zu minimieren und möglichst wenig fehlerhafte Ergebnisse zu produzieren. Die Anforderung an die risikobasierte statistische Methode liegt nun darin, eine Stichprobengröße und gegebenenfalls eine darin akzeptable Fehlermenge zu definieren, um dauerhaft ein gewünschtes tolerables Produktionsergebnis zu erzielen.

Es ist zu bedenken, dass statistische Methoden von Natur aus den Regeln der Wahrscheinlichkeit unterliegen. Jede Wahrscheinlichkeitsrechnung und somit auch jede Statistik beruht auf theoretischen Überlegungen, die bereits durch kleinste Stellschrauben verändert werden können.  Somit ist eine vollständige Eliminierung des Risikos, fehlerhafte Ergebnisse zu produzieren, nicht möglich.

Es gibt verschiedene, etablierte statistsche Methoden für die Validierung mit unterschiedlichen akzeptablen Größen, die jeweils aufgrund prozesseigener Bedingungen begründbar sind. Es gibt darunter etablierte Methoden, die alle den Stichprobenumfang bei akzeptablem Fehlerniveau bestimmen. Dazu gehören z.B. das Success-Run-Theorem, Acceptable Quality Limit (annehmbare Qualitätsgrenzlage, kurz: AQL) oder das Lot Tolerance Percent Defective (LTPD) Sampling.

Im Folgenden werden zwei dieser Methoden näher erläutert.

  • Acceptable Quality Limit (AQL)

Bei der AQL-Methode werden Akzeptanzqualitätsgrenzen zugewiesen, die sich nach dem akzeptierten Risiko richten. Eine Stichprobenentnahme mittels AQL ist in der Industrie weit verbreitet. Durch die Stichprobenentnahme wird die maximal zulässige Anzahl fehlerhafter Produkte in einem Fertigungsprozess ermittelt.

Für die Entnahme von Stichproben bieten sich die Normenreihen an:

  • ISO 2859 Annahmestichprobenprüfung anhand der Anzahl fehlerhafter Einheiten oder Fehler (Attributprüfung)“ und
  • ISO 3951 Verfahren für die Stichprobenprüfung anhand quantitativer Merkmale (Variablenprüfung)

Beide Normenreihen beschreiben eine Annahmeprüfung nach AQL (Annehmbare Qualitätsgrenzlage). Diese sagt aus, welcher Fehleranteil im Los zulässig ist.

Bei der ISO 2859 gibt es Einfachstichproben, Doppelstichproben sowie reduzierte und verschärfte Prüfungen. Bei der ISO 3951 werden Prüfungen auf der Grundlage von Standardabweichungen der Gesamtheit oder der Stichprobe verwendet. Die Stichprobenanweisungen und Akzeptanzkriterien liegen bei beiden Normen in Tabellenform vor.

In einem unserer bereits erschienenen Artikel „Mit dem richtigen Rezept richtig mit den Vorgaben umgehen“ können Sie nachlesen, wie AQL in einem abstrakten Beispiel zu verstehen ist.

  • Success-Run-Theorem

Das Success-Run-Theorem ist eine sehr verbreitete Methode, die auf einer Binomialverteilung basiert und zu einem bestimmten Stichprobenumfang führt.

Als Ausgangspunkt wird zunächst mittels einer Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) das Risikoniveau eines Prozessschrittes bestimmt. Die Kombination von Auftretenswahrscheinlichkeit, Entdeckungswahrscheinlichkeit und Schweregrad eines möglichen Fehlers ergibt das Risiko (z.B. Niedrig, Mittel oder Hoch). Ein Reinigungsprozess zum Beispiel wird zumeist mit einem hohen Risiko eingestuft. Entsprechend des Risikos, können nun das Vertrauensniveau/Konfidenz und die Zuverlässigkeit ausgewählt werden, die die Basis des Success-Run-Theorem’s bilden.

Risiko

Vertrauensniveau/Konfidenz

Zuverlässigkeit

Hoch

95%

99%

Mittel

95%

95%

Niedrig

95%

90%

Die Zuverlässigkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Prozessschritt für einen bestimmten Zeitraum zufriedenstellend funktioniert. Das Vertrauensniveau gibt an zu wieviel Prozent Sicherheit der Prozessschritt zuverlässig ist. Bei einem hohen Risiko soll also zu 95%iger Sicherheit der Prozessschritt zu 99% zuverlässig sein (vgl. Tabelle).

Die Bestimmung der Einteilung des Konfidenz- und Zuverlässigkeitsniveaus basiert auf Grundlage der Risikoakzeptanzschwelle einer Organisation, der Branchenpraxis, Leitfäden und gesetzlicher Anforderungen.

Zur Berechnung des Stichprobenumfangs kann die folgende Formel angewandt werden

Eine Beispielrechnung:

Ein Reinigungsprozessschritt wird auf Grundlage der FMEA als hoch riskant eingestuft. Dementsprechend legt der Hersteller fest, dass dieser Prozessschritt mit 95%iger Sicherheit zu 99% zuverlässig sein soll.Die obige Formel lässt sich dann wie folgt anwenden:

Es ergibt also aufgerundet ein Umfang von 299 Stichproben, die gezogen und geprüft werden müssen. Diese dürfen keine Fehler/Mängel an definierter Sauberkeit aufweisen, damit der Reinigungsprozessschritt erfolgreich validiert wurde.

Integration der statischen Methoden in das QM System und insbesondere – das allgemeine Risikomanagement.

Die systematische, risikobasierte Prozessvalidierung sollte ein integraler Bestandteil eines jeden Qualitätsmanagementsystems sein. Die Minimierung von Fehlern in der Produktion medizinischer Produkte ist bereits dadurch geboten, dass nach ISO 13485 das Risiko für Anwender und Patienten so gering wie möglich zu halten ist.

Gegebenenfalls muss jeder Hersteller Verfahren einführen und aufrechterhalten, um gültige statistische Verfahren zu ermitteln, die zur Feststellung, Kontrolle und Überprüfung der Akzeptanz der Prozesseignung und der Produktmerkmale erforderlich sind.

Unabhängig von der Methode zur Bestimmung des statistisch gültigen Stichprobenumfangs und der entsprechenden Begründung (Konfidenz-, Zuverlässigkeits- oder akzeptabler Qualitätsgrenzwert), sollte die Methode auf

  • der Festlegung des mit dem Prozess verbundenen Risikos,
  • des mit der Herstellung des Produkts verbundenen Aufwands und
  • der mit der Inspektion, Messung und Prüfung verbundenen Tätigkeiten

basieren und konsequent angewendet werden.

Wann ist eine statistische Methode wie in ISO13485 beschrieben angemessen?

Abschließen möchten wir diesen Artikel mit dem Setzen Ihres Augenmerks auf einen Zusatz in der Norm, der die Verwendung statistischer Methoden bei der Validierung einschränkt.

Die Prozessvalidierung wird in der ISO 13485, Kapitel 7.5.6 dadurch eingeschränkt, dass der Zusatz „soweit angemessen“ verwendet wird. Diese Einschränkung wird gemacht, da es Prozesse geben kann, die statistisch nicht beschreibbar sind. Ein statistisch beschreibbarer Prozess besitzt Einflussfaktoren, die auf alle Elemente einer Gesamtheit gleichermaßen wirken. Unter anderem bei Reinigungsprozessen ist dies nicht immer der Fall. Durch Biodynamik, unterschiedliche Vorreinigungseinflüsse und andere zeitlich veränderbare Faktoren kann eine begründbare Stichprobengröße oft nicht erfolgen.

Es ist daher ratsam, jeden Produktionsprozess unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten, um Datenmengen zu vermeiden. Auf diese Weise können Sie eine deutliche Verbesserung der Qualität Ihrer Produkte erreichen.

Sie hatten gehofft, in diesem Artikel einen immer gültigen Ansatz zur Stichprobengrößenkalkulation zu finden? Sie wissen noch immer nicht, wie und wann Sie Ihre Stichprobe begründen sollen? Nun, so vielfältig wie das Angebot an Medizinprodukten ist, so vielfältig sind auch die risikobasierten Ansätze. Sprechen Sie uns gerne an, wie zeigen Ihnen gerne weitere Möglichkeiten auf.

Bitte beachten Sie, dass alle Angaben und Auflistungen nicht den Anspruch der Vollständigkeit haben, ohne Gewähr sind und der reinen Information dienen.